Rz. 73

Gem. § 74c Abs. 1 S. 1 HGB muss sich der Arbeitnehmer auf die Karenzentschädigung anrechnen lassen, was er während des Verbotszeitraumes durch anderweitige Arbeitstätigkeit verdient hat oder hätte verdienen können. Unterlässt er böswillig eine ihm zumutbare Möglichkeit zu neuer Arbeit, muss er sich auch den fiktiven Arbeitslohn anrechnen lassen. Die Entschädigungspflicht des Arbeitgebers entfällt vollständig, wenn die Summe der Entschädigung und des anrechnungspflichtigen neuen Verdienstes mehr als 110 % der bisherigen Einkünfte des Arbeitnehmers beträgt (zur Berechnung im Einzelnen vgl. auch Kukat, BB 2001, 951 ff.). In diesem Fall hat der Arbeitnehmer keinen Nachteil durch das Wettbewerbsverbot erlitten.

 

Rz. 74

Ist der Arbeitnehmer gezwungen seinen Wohnsitz zu wechseln, liegt die Anrechnungsgrenze bei 125 % (§ 74c Abs. 1 S. 2 HGB) (s. zu den Obergrenzen auch BAG v. 16.12.2021 - 8 AZR 498/20, NZA 2022, 713). Ursächlich ist das Wettbewerbsverbot für den Umzug jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer an seinem bisherigen Wohnsitz ohne das Wettbewerbsverbot eine seiner früheren Tätigkeit vergleichbare Beschäftigung aufnehmen könnte (vgl. BAG v. 26.2.1985 – 3 AZR 162/84, BB 1985, 1467 = NZA 1985, 809; v. 23.2.1999 – 9 AZR 739/97, NZA 1999, 936). Ist am bisherigen Wohnsitz ein Unternehmen ansässig, bei dem die Aufnahme einer Tätigkeit dem Arbeitnehmer verboten ist, ist der Nachweis entbehrlich, dass er bei diesem Unternehmen auch tatsächlich eine Anstellung gefunden hätte. Verzögert sich der Umzug durch Umstände, auf die der Arbeitnehmer keinen Einfluss hat, so gilt die oben genannte Grenze von 125 % nicht erst ab dem tatsächlich vollzogenen Umzug, sondern ab dem Zeitpunkt, zu dem der Arbeitnehmer sich zu dem Umzug entschlossen hat (vgl. BAG v. 17.5.1988 – 3 AZR 482/86, BB 1988, 1675 = NJW 1988, 3173).

 

Rz. 75

Wird vertraglich vereinbart, dass eine Anrechnung eines vom Arbeitnehmer in der Karenzzeit durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erzielten oder aufgrund böswilligen Unterlassens nicht erzielten Erwerbs auf die Karenzentschädigung erfolgt, führt dies nicht zur Unverbindlichkeit eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots insgesamt, sondern nach § 75d S. 1 HGB nur dazu, dass die vertragliche Anrechnungsvereinbarung insoweit für den Arbeitnehmer unverbindlich ist, als sie über die Vorgaben des § 74c Abs. 1 S. 1 HGB hinausgeht (BAG v. 16.12.2021 – 8 AZR 498/20, NZA 2022, 713). Böswilligkeit liegt vor, wenn der Arbeitnehmer eine ihm mögliche und nach den Umständen zumutbare Tätigkeit nicht aufnimmt, jedoch auch dann, wenn er gegen ein unangemessen niedriges Entgelt arbeitet (vgl. Schaub/Vogelsang, ArbR-HdB, § 55 Rn 80). Nicht zu beanstanden ist i.d.R., wenn der Arbeitnehmer sich selbstständig macht, auch wenn er als Arbeitnehmer mehr verdient hätte (Hunold, NZA-RR 2007, 617, 624). Ebenso kann er ein, auch berufsfremdes, Studium aufnehmen (vgl. Schaub/Vogelsang, ArbR-HdB, § 55 Rn 80 m.w.N.).

 

Rz. 76

Anrechenbar ist bei Einkünften aus unselbstständiger Tätigkeit all das, was auch bei der Berechnung der Karenzentschädigung zu berücksichtigen ist (s. oben). Umstritten ist diesbezüglich, inwieweit sich der Arbeitnehmer Sozialversicherungsleistungen anrechnen lassen muss (vgl. zum Meinungsstand Schaub/Vogelsang, ArbR-HdB, § 55 Rn 85). Das BAG hat das Alg für anrechenbar erklärt, da es Lohnersatzfunktion hat (vgl. BAG v. 25.6.1985 – 3 AZR 305/83, NZA 1986, 194; BAG v. 2.6.1987 – 3 AZR 626/85, BB 1988, 140; BAG v. 22.5.1990 – 3 AZR 373/88, NZA 1990, 975). Nach der gesetzgeberischen Entscheidung, § 148 SGB III aufzuheben (s. Rdn 77), lebt diese Rspr. nach wohl überwiegender Ansicht wieder auf (LAG München v. 14.8.2007 – 4 Sa 189/07, BeckRS 2008, 54978; Diller, BB 2008, 1680, 1681). Ferner ist nach § 57 SGB III gezahltes Überbrückungsgeld auf die Karenzentschädigung anrechenbar (BAG v. 16.11.2005 – 10 AZR 152/05, NJW 2006, 3227).

 

Rz. 77

§ 148 SGB III a.F., nach welchem der Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen (seinerzeit) verpflichtet war, dem Arbeitsamt das Alg zu erstatten, das an Arbeitnehmer gezahlt wird, die einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot unterliegen (§ 148 SGB III a.F., früher § 138a AFG a.F.), wurde zunächst für verfassungswidrig erklärt (BVerfG v. 10.11.1998 – 1 BvR 2296/96, BVerfGE 99, 202 = NZA 1999, 191). Daran anschließend hatte der Gesetzgeber zunächst eine Neuregelung getroffen, nach welcher der Arbeitgeber eine pauschalierte anteilige Erstattung des Alg i.H.v. 30 % leisten sollte. Letztlich wurde die Vorschrift jedoch mit Wirkung zum 1.1.2004 endgültig aufgehoben.

 

Rz. 78

Übergangsgeld ist dagegen nicht anrechenbar, weil es der Rehabilitation des Arbeitnehmers dient (vgl. BAG v. 7.11.1989 – 3 AZR 796/87, DB 1990, 889 = NZA 1990, 397). Ferner werden solche Einkünfte nicht angerechnet, die der Arbeitnehmer auch während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses verdient hat oder sich hätte beschaffen können sowie Zinsgewinn aus Kapitaleinlagen (vgl. Schaub/Vogelsang, ArbR-HdB, § 55 Rn 8...

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