Dr. iur. Uwe Langohr-Plato
Rz. 505
Die EU hat seit dem Jahre 2000 insgesamt vier Richtlinien erlassen (ausführlich hierzu Langohr-Plato, BetrAV 2006, 451 ff.), die sich mit Fragen des Diskriminierungsschutzes befassen. Diese sog. Antidiskriminierungsrichtlinien verpflichten die BRD zur Transformation der darin niedergelegten Vorgaben in innerstaatliches Recht. Mit dem AGG (v. 18.8.2006, BGBl I, 1897) hat der Gesetzgeber versucht, die sich aus diesen europarechtlichen Vorgaben ergebenden Konsequenzen für einen umfassenden Diskriminierungsschutz umzusetzen. Dabei geht das AGG allerdings weit über die europarechtlichen Vorgaben hinaus. Ziel des Gesetzes ist es, Benachteiligungen
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aus Gründen der Rasse oder wegen der ethischen Herkunft, |
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des Geschlechts, |
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der Religion oder Weltanschauung, |
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einer Behinderung, |
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des Alters oder |
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der sexuellen Identität |
zu verhindern oder zu beseitigen (§ 1 AGG). Neben einigen anderen Bereichen wird durch dieses Gesetz vor allem das Arbeitsrecht berührt. Das Gesetz gilt hier für alle Arbeitnehmer, Auszubildenden und arbeitnehmerähnlichen Personen sowie Bewerber. Für den Arbeitgeber bedeutet dies, dass er seine personalpolitischen Entscheidungen mit rationalen Kriterien begründen, auf etwaige Verstöße gegen die Diskriminierungsverbote prüfen und den Entscheidungsprozess dokumentieren muss.
a) Auswirkungen auf die betriebliche Altersversorgung
Rz. 506
Das BAG hat im Rahmen seiner Entscheidung v. 11.12.2007 (3 AZR 249/06, NZA 2008, 532–537 = BB 2008, 766–768) erstmals seit Inkrafttreten des AGG höchstrichterlich zu der Frage Stellung bezogen, ob die Regelungen des AGG auch im Bereich der betrieblichen Altersversorgung Anwendung finden.
Rz. 507
Diese Frage wurde in der Literatur bisher kontrovers diskutiert (vgl. u.a. Kemper/Kisters-Kölkes, Rn 111; Langohr-Plato, Betriebliche Altersversorgung, Rn 1471 ff.; Thüsing, BetrAV 2006, 704), da der gesetzliche Verweis in § 2 Abs. 2 S. 2 AGG auf die Geltung des BetrAVG Anlass zu unterschiedlichen Interpretationen gab.
Rz. 508
Das BAG hat in der zitierten Entscheidung eindeutig festgestellt, dass dieser Verweis auf das BetrAVG lediglich als Kollisionsregel zwischen beiden Gesetzen zu werten ist. Das bedeutet konkret, dass das BetrAVG als lex specialis die Regelungen des AGG verdrängt. Soweit sich aus den Bestimmungen des BetrAVG Anknüpfungen an die vom AGG erfassten Merkmale, z.B. Alter ergeben, soll es hierbei verbleiben. Das BetrAVG enthält solche Vorschriften z.B. hinsichtlich der Unverfallbarkeit der Betriebsrente und indem es eine feste Altersgrenze voraussetzt. Enthält das BetrAVG hingegen keine speziellen Bestimmungen hinsichtlich der vom AGG erfassten Merkmale, findet das AGG uneingeschränkt Anwendung.
Rz. 509
Insoweit ist allerdings festzustellen, dass das BetrAVG selbst keinerlei Regelungen zum Diskriminierungsschutz enthält. Lediglich in § 1b Abs. 1 S. 4 BetrAVG ist festgehalten, dass eine Verpflichtung zur Gewährung betrieblicher Versorgungsleistungen auch auf dem Grundsatz der Gleichbehandlung beruhen kann. Konkret formulierte Benachteiligungsverbote, wie sie die Gesetzesbegründung zum AGG vermuten lässt, enthält das BetrAVG dagegen nicht.
Rz. 510
Unabhängig von dieser rechtssystematischen Fragestellung wird sich die betriebliche Altersversorgung aber nicht dem Diskriminierungsschutz verschließen können. Dies folgt allein schon aus der Tatsache, dass – wie dargestellt – der EuGH von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Diskriminierungsverbotes ausgeht. Es stellt sich daher die Frage, unter welchen Aspekten die oben genannten Diskriminierungsmerkmale im Bereich der betrieblichen Altersversorgung Handlungsrelevanz auslösen können.
b) Systematische Unterschiede zwischen Gleichbehandlung und Diskriminierungsschutz
Rz. 511
Im Unterschied zu den bislang in der betrieblichen Altersversorgung diskutierten und von den Gerichten entschiedenen Gleichbehandlungsthemen hat der europarechtliche Antidiskriminierungsschutz eine neue, andere und vor allem weiter gehende inhaltliche Qualität.
Rz. 512
Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet nämlich gerade nicht die Begünstigung einzelner Arbeitnehmer. Das Gebot der Gleichbehandlung greift vielmehr erst dann ein, wenn der Arbeitgeber nach bestimmten generalisierenden Prinzipien Leistungen gewährt. Voraussetzung für die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Bereich der betrieblichen Altersversorgung ist also stets die Existenz einer generellen Versorgungsordnung, die eine Mehrzahl von Mitarbeitern nach abstrakten Kriterien begünstigt.
Rz. 513
Demgegenüber stellen die einzelnen Diskriminierungstatbestände des AGG gerade nicht auf die Bildung von Gruppen als Vergleichsmaßstab ab, sondern statuieren individuelle Schutzansprüche. Das bedeutet, dass auch der "Einzelne" ein Recht auf Diskriminierungsschutz hat, sofern nicht das Gesetz selbst eine unterschiedliche Behandlung ausdrücklich zulässt.
c) Inhaltliche Besonderheiten bei den Diskriminierungstatbeständen
Rz. 514
Hinsichtlich der einzelnen Diskriminierungstatbestände sind zudem folgende relevante inhaltliche Besonderheiten zu beachten:
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Das Merkmal "Rasse" bzw. "ethnische Herkunft" ist von der Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG (v. 29.6.2000, ABl EG Nr. L 180, 22) vorgegeben... |