Dr. iur. Uwe Langohr-Plato
Rz. 663
Früher war es in Rspr. (vgl. u.a. LAG Düsseldorf, 30.12.1977 – 16 Sa 651/77, DB 1978, 702; ArbG Köln v. 29.7.1977 – 14 Ca 3481/77, DB 1977, 2146; LAG Hamm v. 28.3.1979 – 12 Sa 22/78, DB 1979, 1365) und Literatur (vgl. u.a. Riedel, NJW 1975, 765; Martens, DB 1977, 495; Derleder, AuR 1976, 129; Hess, DB 1976, 1154; Everhardt, BB 1976, 1611; Richardi, RdA 1976, 56) heftig umstritten, ob § 613a BGB auch auf eine Betriebsveräußerung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anzuwenden sei. Nachdem das BAG diese grundsätzliche Frage in seiner Entscheidung v. 15.11.1978 (5 AZR 199/77, NJW 1979, 2634) noch ausdrücklich offengelassen hatte, hat es in seinem Urt. v. 17.1.1980 (3 AZR 160/79, NJW 1980, 1124) und seither in st. Rspr. (vgl. u.a. BAG v. 13.11.1986 – 2 AZR 771/85, NZA 1987, 458; BAG v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, NZA 1988, 198; BAG v. 4.7.1987 – 3 AZR 756/87, DB 1989, 2541) die Anwendung des § 613a BGB bei einer Betriebsveräußerung in Insolvenz bejaht, soweit es sich nicht um bei Konkurseröffnung bereits entstandene Ansprüche handelt. Insoweit haben die Verteilungsgrundsätze des Insolvenzverfahrens Vorrang.
Rz. 664
Diese Rspr. ist insb. für Leistungen der betrieblichen Altersversorgung von Bedeutung. Der Betriebserwerber tritt zwar als solcher in die bestehenden Versorgungsanwartschaften ein, schuldet im Leistungsfall jedoch gleichwohl nicht deren volle Höhe. Soweit die Anwartschaft nämlich bei Insolvenzeröffnung bereits unverfallbar i.S.v. § 1 BetrAVG war, haftet hierfür der PSV als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung für den bis dahin zeitanteilig erdienten Teil nach Maßgabe von § 7 Abs. 2 BetrAVG. Die insolvenzrechtlichen Regelungen des BetrAVG stellen somit eine lex specialis zu § 613a BGB dar; der im Insolvenzverfahren die Arbeitsverhältnisse übernehmende Erwerber haftet daher nur insoweit, wie die bestehenden Ansprüche der Arbeitnehmer nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können (BAG v. 29.10.1985 – 3 AZR 485/83, BB 1986, 1644 = DB 1986, 1779), mithin also nur insoweit, als sie auf Beschäftigungszeiten nach dem Betriebsübergang beruhen (BAG v. 11.2.1992 – 3 AZR 117/91, NZA 1993, 20 = ZAP 1993, F. 17 R, S. 41 m. Anm. Langohr-Plato).
Dies hat das BAG in seiner Entscheidung vom 26.1.2021 (3 AZR 139/17, juris = Langohr-Plato, jurisPR-ArbR 5/2021 Anm. 8) nochmals ausdrücklich bestätigt. Die besonderen Verteilungsgrundsätze des Insolvenzrechts gehen § 613a BGB als Spezialregelungen für bereits entstandene Ansprüche oder Anwartschaften vor, sodass der Erwerber nicht für eine aufgrund des Endgehaltsbezugs einer Versorgungsordnung bei Insolvenzeröffnung bereits vom Arbeitnehmer erdiente Dynamik einstehen muss. Insoweit scheidet auch eine Eintrittspflicht des PSV aus. Die wertmäßige Differenz kann der Arbeitnehmer als aufschiebend bedingte Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anmelden (BAG v. 26.1.2021 – 3 AZR 139/17, juris = Langohr-Plato, jurisPR-ArbR 5/2021 Anm. 8).
Arbeitnehmern muss allerdings als Mindestschutz ihrer Forderungen auf betriebliche Altersversorgung ein Anspruch nach Art. 3 Abs. 4 Buchst. b Richtlinie 2001/23/EG i.V.m. Art. 8 Richtlinie 2008/94/EG gewährt werden. Das begründet in Deutschland einen unmittelbar aus dem Unionsrecht folgenden Anspruch gegen den PSV, und zwar auch für im Insolvenzzeitpunkt noch verfallbare Versorgungsanwartschaften (BAG v. 26.1.2021 – 3 AZR 139/17, juris = Langohr-Plato, jurisPR-ArbR 5/2021 Anm. 8).
Für den PSV führt die aktuelle Rechtsprechung des BAG somit zu einer Änderung seiner Einstandspflicht: Erstmals trifft das BAG nämlich die Aussage, dass versorgungsberechtigten Arbeitnehmern bezüglich des nach europarechtlichen Anforderungen zu gewährenden Mindestschutzes ein unmittelbarer und damit auch einklagbarer Anspruch gegen den PSV zusteht. Dies führt aber nicht automatisch zu einer Haftungserweiterung auf Seiten des PSV, sondern nur dann, wenn der vom EuGH geforderte Mindestschutz nicht gewährleistet ist.
Rz. 665
Das BAG hat mit Urt. v. 28.4.1987 (NZA 1988, 198) zu dem Erwerb eines insolventen Unternehmens weiterhin festgestellt, dass die fristlose Kündigung der Arbeitnehmer oder die Vereinbarung von Auflösungsverträgen und der Abschluss neuer Arbeitsverträge mit dem Erwerber unwirksam sind, da hierin eine Umgehung des § 613a Abs. 4 S. 1 BGB liegt. Sind unverfallbare Versorgungsanwartschaften betroffen, liegt darüber hinaus ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 2 BetrAVG vor.