Dr. iur. Uwe Langohr-Plato
Rz. 403
Die besondere Bedeutung tarifvertraglich normierter betrieblicher Versorgungssysteme wird künftig dadurch herausgestellt, dass hierfür durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz mit Wirkung ab dem 1.1.2018 mit den §§ 19 ff. BetrAVG ein neuer, eigener Abschnitt "Betriebliche Altersversorgung und Tarifvertrag" eingeführt worden ist, in den die bislang in § 17 Abs. 3 BetrAVG (Tariföffnungsklausel/tarifdispositive Regelungen des BetrAVG) und in § 17 Abs. 5 BetrAVG (Entgeltumwandlung und Tariflohn) überführt sowie die neuen Möglichkeiten "Optionssysteme" und "Sozialpartnermodell" geregelt werden.
1. Tarifvertragliche Sonderrechte
Rz. 404
Gem. § 19 Abs. 1 BetrAVG kann von den gesetzlichen Regelungen der §§ 1a, 2, 2a Abs. 1, 3 und 4, 3 (mit Einschränkungen), 4, 5, 16, 18a S. 1, 27 und 28 BetrAVG, d.h. insb. den gesetzlichen Regelungen zur Unverfallbarkeit, zum Auszehrungsverbot und zur Anpassungsprüfungspflicht nur in Tarifverträgen abgewichen werden. I.Ü., d.h. durch Individual- oder Betriebsvereinbarung, darf gem. § 19 Abs. 3 BetrAVG von den Bestimmungen des BetrAVG nur zugunsten des Versorgungsberechtigten abgewichen werden.
Dies hat zur Konsequenz, dass die als zwingende Mindestschutznormen ausgestalteten Vorschriften des BetrAVG außerhalb des Tarifvertragsrechtes generell unabdingbar sind und nicht zum Nachteil der Versorgungsberechtigten abgeändert werden können, und zwar auch nicht mit deren Einverständnis.
Rz. 405
Ergibt eine Überprüfung einer vertraglich vom BetrAVG abweichenden Versorgungsvereinbarung eine Benachteiligung des Versorgungsberechtigten, so ist die entsprechende, den Versorgungsberechtigten benachteiligende Regelung gem. § 134 BGB nichtig und wird durch die entsprechende gesetzliche Bestimmung ersetzt.
2. Tarifvertrag und Entgeltumwandlung
Rz. 406
§ 20 Abs. 1 BetrAVG sieht zudem vor, dass für Tariflohn nur dann eine Entgeltumwandlung vereinbart werden kann, soweit dies durch einen Tarifvertrag vorgesehen (tarifvertraglicher Anspruch auf Entgeltumwandlung) oder durch Tarifvertrag zugelassen (sog. "Öffnungsklausel") ist.
3. Optionssysteme
Rz. 407
§ 20 Abs. 2 BetrAVG ermöglicht eine obligatorische Verpflichtung der Mitarbeiter zur Entgeltumwandlung (sog. Opting-Out) und zwar bei allen betrieblichen Versorgungssystemen. Das heißt, dass der Mitarbeiter tarifvertraglich "gezwungen" werden kann, die Entgeltumwandlung zu nutzen, ohne dass es dafür einer gesonderten Entgeltumwandlungsvereinbarung bedarf. Voraussetzung ist allerdings, dass ein solches Opting-Out-System durch eine entsprechende tarifvertragliche Regelung ausdrücklich geregelt wird oder aber der Tarifvertrag eine Öffnungsklausel für Regelungen auf betrieblicher Ebene enthält sowie dem Arbeitnehmer ein ausdrückliches Widerrufsrecht eingeräumt und ihm die Widerrufsmöglichkeit drei Monate vor der ersten Entgeltumwandlung klar mitgeteilt wird.
Eine Beendigung der so eingeführten Entgeltumwandlung ist mit einer Frist von einem Monat zu ermöglichen.
Im Rahmen einer Übergangsregelung wird zudem klargestellt, dass die künftigen tariflichen Bestimmungen für die Durchführung von Opting-Out-Systemen keine Anwendung auf bereits bestehende Opting-Out-Systeme finden (§ 30j BetrAVG).
4. Sozialpartnermodell
Rz. 408
Arbeitgeber haben nach §§ 21 ff. BetrAVG nunmehr auch die Möglichkeit, eine betriebliche Altersversorgung ohne eigene Subsidiärhaftung und damit ohne einen entsprechenden Verschaffungsanspruch der Mitarbeiter anzubieten. Diese sog. Beitragszusage, bei der die Verpflichtung des Arbeitgebers allein in der Beitragszahlung besteht ("pay and forget"), ist allerdings nur möglich, sofern ihr eine tarifvertragliche Regelung zugrunde liegt und sie über einen externen Versorgungsträger wie Pensionskasse, Direktversicherung oder Pensionsfonds umgesetzt wird. Unmittelbare Pensionszusagen und Unterstützungskassen profitieren somit von dieser Neuregelung nicht.
Rz. 409
Eine bestimmte Versorgungsleistung wird vom Arbeitgeber in diesem Modell nicht zugesagt und darf auch vom Versorgungsträger nicht zugesagt werden, sprich: Garantien – auch eine Mindestleistungsgarantie – sind in diesem Modell gesetzlich verboten. Operiert wird mit einer sog. Zielrente, die allerdings unverbindlich ist und damit volatil sein kann. Die tatsächlich fällig werdende Versorgungsleistung und deren spätere Entwicklung sind allein von der Vermögens- und Ertragslage bzw. -entwicklung der Versorgungseinrichtung (Volatilität in Abhängigkeit vom Kapitalanlageerfolg) abhängig. Damit sind künftig theoretisch im Zeitablauf auch sinkende Rentenzahlungen denkbar.
Faktisch wird damit eine betrieblich organisierte private Altersvorsorge ohne jegliche Garantie und ohne Arbeitgeberhaftung auf den Weg gebracht.
Die lediglich in Aussicht gestellten Versorgungsleistungen müssen als laufende Renten erbracht werden (die Abfindung von Kleinstbeträgen ist zulässig). Für die Anwartschaften ist eine sofortige gesetzliche Unverfallbarkeit ebenso vorgesehen wie die Fortführung mit eigenen Beiträgen bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Unternehmen und die Portierung auf das Sozialpartnermodell eines anderen Tarifvertrags.
Rz...