Dr. iur. Karl-Peter Pühler
Rz. 47
Eine im Kündigungsschutzverfahren bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses wesentliche Arbeitnehmerschutzvorschrift ist die Regelung des § 1b i.V.m. § 2 BetrAVG über die Unverfallbarkeit. Diese Regelung besagt, dass die Versorgungsanwartschaften auch beim "Störfall" der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen ihres Entgeltcharakters aufrechterhalten bleiben, obwohl der Arbeitnehmer dem Betrieb nicht mehr die Treue halten kann. In der Praxis erhält die Unverfallbarkeitsregelung eine immer größere Bedeutung, weil durch verschiedene Wirtschaftskrisen erhebliche Bewegung in den Arbeitsmarkt geraten ist.
Rz. 48
Wichtig ist bei den Unverfallbarkeitsregelungen, dass es sich um Mindestnormen zugunsten des Arbeitnehmers handelt. Der Arbeitgeber kann, wenn die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, also nur im Rahmen eines Tarifvertrags, davon zu Ungunsten des Arbeitnehmers abweichen. Hierbei darf jedoch der Tarifvertrag nicht völlig von der gesetzlichen Regelung der Unverfallbarkeitsvorschrift abweichen. Die Unverfallbarkeit selbst kann außerhalb des § 19 BetrAVG nicht abgedungen werden.
I. Gesetzliche Unverfallbarkeit
Rz. 49
Die gesetzliche Unverfallbarkeit beschreibt die Voraussetzungen, bei deren Erfüllung eine Anwartschaft auf bAV dem Arbeitnehmer nicht mehr einseitig genommen werden darf. Die folgenden Voraussetzungen sind dabei gesetzlich festgelegt:
1. Gesetzliche Unverfallbarkeitsvoraussetzungen
Rz. 50
Die Regelungen für den Schutz von Versorgungsanwartschaften bei vorzeitiger Vertragsbeendigung gelten nur für Versorgungszusagen, die der Arbeitgeber freiwillig finanziert. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer sich teilweise an der Finanzierung aufgrund der getroffenen Rechtsbegründungsakte (z.B. einer Betriebsvereinbarung) zu beteiligen hat. Im Gegensatz dazu bestimmt § 1b Abs. 5 S. 1 BetrAVG, dass Versorgungsanwartschaften durch Entgeltumwandlung oder Eigenbeiträge sofort gesetzlich unverfallbar sind. In diesen erweiterten Schutz wurde der verpflichtende Arbeitgeberbeitrag gem. § 1a Abs. 1a BetrAVG bei den Durchführungswegen Direktversicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds einbezogen, sodass auch dieser Pflichtbeitrag mit Einzahlung sofort zu einem gesetzlich unverfallbaren Anspruch führt. Sie stehen im Ergebnis im Eigentum des Arbeitnehmers.
Rz. 51
Der Eintritt der gesetzlichen Unverfallbarkeit außerhalb der Entgeltumwandlung ist von der Dauer des Bestehens der Zusage und dem Lebensalter beim Ausscheiden beim Arbeitgeber abhängig. Der gesetzliche Grundsatz lautet, dass Versorgungszusagen nach Vollendung des 21. Lebensjahres und einer Zusagedauer von mindestens drei Jahren unverfallbar werden (§ 1b Abs. 1 S. 1 BetrAVG).
Rz. 52
Somit sind Versorgungszusagen, die die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen, bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unverfallbar und nicht einseitig wegnehmbar. Hat es im Laufe des Arbeitsverhältnisses Änderungen einer erteilten Versorgungszusage oder einen Wechsel des Durchführungswegs gegeben, gilt der Grundsatz der Einheit der Versorgungszusage. Eine Ausnahme hierfür gilt nur dann, wenn verschiedene vom Arbeitgeber erteilte Zusagen nicht in einem sachlichen Zusammenhang stehen.
Rz. 53
Die Dauer der Betriebszugehörigkeit berechnet sich entsprechend der rechtlichen Bestandsdauer des Arbeitsverhältnisses. Berufsausbildungsverhältnisse werden dabei dem Arbeitsverhältnis gleichgestellt (§ 17 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BetrAVG). Zur Betriebszugehörigkeit rechnen auch Zeiten eines ruhenden Arbeitsverhältnisses und gesetzliche Erziehungszeiten.
2. Höhe der unverfallbaren Anwartschaft
Rz. 54
Die gesetzliche Unverfallbarkeitsregelung kennt seit einigen Jahren mehrere Methoden für ihre Ermittlung. Hierbei ist zu entscheiden zwischen dem zeitanteiligen Verfahren gem. § 2 Abs. 1 BetrAVG und der versicherungsvertraglichen Lösung nach § 2 Abs. 2 S. 2 ff. BetrAVG.
a) Zeitanteiliges Verfahren
Rz. 55
Beim zeitanteiligen Berechnungsverfahren ist zunächst in einem ersten Schritt die Versorgungsleistung festzustellen, die ohne Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Eintritt des Versorgungsfalls zu erbringen wäre. Dabei erfolgt die Ermittlung jeweils nach der getroffenen Vereinbarung. Sodann wird in einem zweiten Schritt die erreichbare Leistung mit einem Unverfallbarkeitsfaktor gewichtet. Dieses auch als "m/n-tel-Verfahren" benannte Verfahren bedeutet, dass die tatsächlich abgeleistete Betriebszugehörigkeit durch die erreichbare Betriebszugehörigkeit bis zur Altersgrenze geteilt wird. Sodann wird in einem dritten Schritt die erreichbare Leistung mit dem Unverfallbarkeitsfaktor multipliziert. Diese Quote wird bei sämtlichen zusagten Versorgungsleistungen angewendet.
b) Versicherungsvertragliche Lösung
Rz. 56
Bei der vers...