Prof. Dr. Hans Josef Vogel
Rz. 47
Der Reisende muss Leistungsänderungen hinnehmen, wenn kumulativ
▪ |
der Pauschalreiseveranstalter sich im Pauschalreisevertrag eine Änderung vorbehalten hat (meist geschieht dies in den AGB), |
▪ |
die Änderung unerheblich ist, |
▪ |
der Reisende vom Reiseveranstalter auf einem dauerhaften Datenträger über die Änderung klar, verständlich und in hervorgehobener Weise unterrichtet wird, |
▪ |
die Änderung vor Beginn der Reise gegenüber dem Reisenden erklärt wurde. |
Hinzu kommt, dass selbstverständlich der Grund der Leistungsänderung erst nach Vertragsschluss eingetreten sein darf. Der Reiseveranstalter soll nicht die Möglichkeit haben, Verträge zu ändern, wenn bereits bei Vertragsschluss Umstände vorlagen, die eine Änderung des vertraglichen Pflichtenprogramms erfordern. Auf Kenntnis oder Vorhersehbarkeit kommt es hierbei nicht an.
Rz. 48
Typische Streitfrage ist also die Frage, wann Reiseänderungen unerheblich sind. In der Variante 1 des Ausgangsfalls (Rdn 5) geht es um genau diese Frage. Die Entscheidung des BGH in dieser Sache zeigt, dass eine rein schematische Lösung, oder Bruchteillösung, nicht ausreicht. Wenn eine Reise mit einem "Highlight" beworben wird, kann es bereits geboten sein, von einer erheblichen Leistungsänderung auszugehen, wenn dieses Highlight gestrichen wird. Entscheidend ist also nicht die Frage, ob etwa 95 % der Reise unangetastet fortgeführt werden. Daher darf der Kunde diese Leistungsänderung ablehnen und kann seinen Rücktritt erklären. Bei Vertragsänderungen muss also immer geprüft werden, ob die zu ändernden Leistungen bereits für sich so wesentlich sind, dass ihr Wegfall oder der Ersatz eine wesentliche Vertragsänderung darstellt.
Bereits jeden Reisemangel als "erhebliche" Leistungsänderung anzusehen (so scheinbar der Gesetzgeber) ginge aber zu weit; denn wenn die Kündigung wegen Mangels (§ 651l BGB) eine Erheblichkeitsschwelle erfordert, kann auch vor Antritt der Reise nicht jeder Mangel einen kostenfreien Rücktritt rechtfertigen.
Rz. 49
Die Frage der Unerheblichkeit kann auch aus Parallelwertungen in anderen rechtlichen Regelungen beantwortet werden. So sieht etwa die Fluggastrechte-Verordnung vor, dass erst bei einer Ankunftsverzögerung von mehr als drei Stunden Ansprüche begründet sind. Auch diese Zeitspanne wird daher typischerweise als unerheblich angesehen.
Rz. 50
Anders als nach dem alten Recht kommt es nicht mehr auf die Frage der Zumutbarkeit für den Reisenden an, da § 308 Nr. 4 BGB (und damit das Kriterium der Zumutbarkeit für die Unterscheidung erheblicher und unerheblicher Leistungsänderungen) keine Anwendung findet, § 651f Abs. 3 BGB. Auch subjektiv unzumutbare Zeitenänderungen, die objektiv unerheblich sind, sind also entschädigungslos hinzunehmen. Als Beispiel hierfür mag die Flugvorverlegung am letzten Schultag um 2,5 Stunden dienen. Objektiv ist diese Leistungsänderung unerheblich, also wirksam durch den Reiseveranstalter vorzunehmen. Sie mag allerdings für den Reisenden unzumutbar sein, da dies dem Schulbesuch eines schulpflichtigen Kindes entgegensteht. Hier kann der Reisende nicht mehr kostenfrei zurücktreten, sondern muss die Änderung als unerhebliche Änderung hinnehmen, soweit die weiteren Voraussetzungen (§ 651f Abs. 2 BGB) erfüllt sind.
Rz. 51
Unerheblich sind damit alle Änderungen, die nur eine Unannehmlichkeit darstellen, und überdies solche Änderungen, die sich bei einer am Interesse des Reisenden an einer Erbringung der Gesamtleistung orientierten Betrachtung als nicht spürbare Beeinträchtigung darstellen. Letztlich muss immer der Einzelfall betrachtet werden und die bisherige Rechtsprechung, soweit dort nicht auf die subjektive Unzumutbarkeit abgestellt wird.