BGH zu Stornokosten bei Reiserücktritt wegen Corona
Die Frage, unter welchen Umständen die Stornierung einer Pauschalreise im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie ohne Stornokosten möglich ist, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. Eine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Rechtsfrage war daher dringend geboten. In drei unterschiedlichen Fallkonstellationen hat der BGH nun differenzierende Antworten gegeben. Wie so häufig, kommt es auf eine exakte Bewertung der Umstände des Einzelfalls an.
Die gesetzliche Regelung
Die entscheidende Gesetzesnorm zur Beantwortung der Frage nach möglichen Stornokosten findet sich in § 651h BGB. Die Vorschrift gewährt dem Reiseveranstalter einen Anspruch auf Entschädigung (Stornokosten), wenn der Reisende vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktritt. Gemäß § 651h Abs. 3 BGB entfällt dieser Anspruch dann, wenn
- am Reiseziel
- unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände auftreten,
- welche die Reise erheblich beeinträchtigen.
Corona-Gefahren können Anspruch auf Stornokosten entfallen lassen
Für den Rücktritt von einer Pauschalreise stellt sich in Zeiten der Corona-Pandemie daher die Frage, inwieweit die weltweit grassierende Gefahr, sich mit dem Cov-19-Virus zu infizieren als ein solcher, unvermeidbarer und außergewöhnlicher Umstand zu bewerten ist, der im Fall eines Reiserücktritts den Anspruch des Reiseveranstalters auf Stornokosten entfallen lässt. Der BGH bejaht die Frage grundsätzlich, fordert aber eine exakte Bewertung der konkreten Pandemie-Umstände am jeweiligen Urlaubsort.
Unzumutbare Risiken begründen Recht auf kostenfreien Reiserücktritt
Ein für sämtliche Fälle gültiger Grundsatz lautet nach den BGH-Entscheidungen, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise, die den Anspruch auf Stornokosten entfallen lässt, nicht nur dann vorliegt, wenn die Durchführung einer Reise nicht möglich ist oder Tatsachen vorliegen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Gesundheit oder sonstiger Rechtsgüter des Reisenden führen würden. Vielmehr entfällt der Anspruch des Veranstalters auf Stornokosten schon dann, wenn aufgrund außergewöhnlicher Umstände erhebliche, dem Reisenden nicht zumutbare Risiken im Fall der Durchführung der Reise drohen.
Rücktritt einer 84-jährigen Reisenden von einer Flusskreuzfahrt
Im Fall einer 84-jährigen Reisenden, die unter Lungenproblemen litt und im Januar 2020 für Juni 2020 eine Flusskreuzfahrt auf der Donau gebucht hatte, entschied der BGH zugunsten der Reisenden. Der ca. 2 Wochen vor Reisebeginn erklärte Rücktritt löste nach der Entscheidung des BGH keinen Anspruch auf Stornokosten seitens des Reiseveranstalters aus. Daran änderte auch das vom Reiseveranstalter entwickelte, ausgeklügelte Hygienekonzept sowie die auf dem Schiff geltende Maskenpflicht nichts. Das Ansteckungsrisiko angesichts der beengten räumlichen Verhältnisse auf einem Kreuzfahrtschiff sei für die 84-jährige, gesundheitlich vorbelastete Reisende mit erheblichen Gesundheitsrisiken verbunden und daher nicht zumutbar gewesen. Angesichts des zum Reisezeitpunkt noch fehlenden Impfangebots sei das Risiko umso höher einzuschätzen.
Umbuchung auf anderes Hotel kann zumutbar sein
Im zweiten Fall einer für Juli 2020 gebuchten Pauschalreise nach Mallorca hatte der Reisegast die Reise storniert, weil das gebuchte Hotel pandemiebedingt geschlossen war. In der gleichen Ferienanlage befand sich aber ein weiteres, geöffnetes Hotel einer höheren Kategorie. Der Reiseveranstalter hatte daher die Möglichkeit, dem Reisenden die Übernachtung in dem geöffneten Hotel anzubieten. Die Annahme eines solchen Angebots wäre nach Ansicht des BGH für den Reisenden zumutbar gewesen. Die Vorinstanz hatte allerdings die konkrete Pandemie-Lage am Urlaubsort zum Reisezeitpunkt nicht hinreichend aufgeklärt. Der Senat hat den Rechtsstreit daher zur weiteren Aufklärung dieser Frage und der daraus resultierenden Zumutbarkeit einer Reisedurchführung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
Stornokosten trotz Absage der gebuchten Kreuzfahrt?
Im dritten Fall hatte der Reisegast für August 2020 eine Ostsee-Kreuzfahrt gebucht. Im März trat er unter Hinweis auf die weltweite Reisewarnung des Auswärtigen Amtes vor nicht notwendigen touristischen Reisen ins Ausland zurück. Im Juli sagte der Veranstalter die Kreuzfahrt komplett ab und behielt dennoch einen Teilbetrag der geleisteten Anzahlung ein. Da die coronabedingte Gefahrenlage zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung im März 2020 nach der Bewertung des Senats noch schwer einzuschätzen war, hing die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Einbehalts von Stornokosten in diesem Fall von der Frage ab, ob der Anspruch des Veranstalters auf Stornogebühren auch dann entfällt, wenn zeitlich nach der Rücktrittserklärung eintretende Umstände (Reiseabsage) die Reise unmöglich oder unzumutbar machen.
EuGH hat das letzte Wort
Für die Beantwortung dieser Frage ist die Auslegung von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie EU – 2015/2302 (Pauschalreiserichtlinie) entscheidend. Der BGH ließ zwar seine Auffassung durchblicken, dass auch nachträglich eintretende Umstände den Anspruch des Reiseveranstalters auf Stornokosten entfallen lassen können, wollte aber der hierzu anstehenden Entscheidung des EuGH nicht vorgreifen. Sowohl der Österreichische Oberste Gerichtshof als auch der BGH hatten den EuGH in Vorlagebeschlüssen um Beantwortung dieser Auslegungsfrage gebeten (BGH, Beschluss v. 2.8.2022, X ZR 53/21). Der BGH setzte daher diesen Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung des EuGH in dieser Frage aus.
(BGH, Urteile v. 30.8.2022, X ZR 84/21 u. X ZR 66/21 u. Beschluss v. 30.8.2022, X ZR 3/22)
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