Rz. 160
War der Anwalt bereits im vorbereitenden Verfahren oder im erstinstanzlichen Verfahren als Verteidiger tätig, hat er dort eine Grundgebühr verdient und kann diese folglich im Berufungsverfahren nicht erneut erhalten (Anm. Abs. 1 zu Nr. 4100 VV).
Rz. 161
Hinsichtlich der Höhe der Gebühren ist auch im Berufungsverfahren danach zu differenzieren, ob sich der Beschuldigte auf freiem Fuß befindet oder nicht.
aa) Beschuldigter befindet sich auf freiem Fuß
(1) Verfahrensgebühr
Rz. 162
Die Verfahrensgebühr entsteht mit der ersten Tätigkeit im Berufungsverfahren nach Einlegung der Berufung, die für den bereits vorinstanzlichen Anwalt nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 RVG noch zur Vorinstanz zählt.
Beispiel 94: Bloße Berufungseinlegung
Der Anwalt wird mit der Einlegung der Berufung beauftragt. Anschließend kündigt der Auftraggeber das Mandat.
Der Anwalt erhält im Berufungsverfahren keine Vergütung. Die Einlegung der Berufung gehört noch mit zum erstinstanzlichen Verfahren (§ 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 RVG) und wird durch die dortige Verfahrensgebühr abgegolten (siehe Beispiel 82).
Rz. 163
Beispiel 95: Berufungsverfahren ohne Zusätzliche Gebühr
Der Anwalt wird im Berufungsverfahren als Verteidiger tätig. Das Verfahren wird ohne Zutun des Verteidigers außerhalb der Hauptverhandlung eingestellt. Auszugehen ist von der Mittelgebühr.
Die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV kann nicht mehr entstehen (Anm. Abs. 1 zu Nr. 4100 VV). Der Anwalt erhält nur die Verfahrensgebühr nach Nr. 4124 VV. Eine Zusätzliche Gebühr entsteht mangels Mitwirkung nicht (Anm. Abs. 2 zu Nr. 4141 VV).
1. |
Verfahrensgebühr, Nr. 4124 VV |
|
352,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
372,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
70,68 EUR |
Gesamt |
|
442,68 EUR |
(2) Zusätzliche Gebühr vor Hauptverhandlung
Rz. 164
Wird die Berufung zurückgenommen, so entsteht die Zusätzliche Gebühr nach Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 3 zu Nr. 4141 VV. Für das Entstehen der Gebühr kommt es allein auf die Rücknahme an. Anders als im Revisionsverfahren bedarf es einer bereits erfolgten Vorlage der Verfahrensakten an das für das Rechtsmittel zuständige Gericht nicht.
Beispiel 96: Berufungsrücknahme durch Verteidiger unmittelbar vor der Hauptverhandlung
Drei Tage vor dem anberaumten Hauptverhandlungstermin nimmt der Verteidiger die Berufung zurück.
Abzurechnen ist wie im vorangegangenen Beispiel 95. Der Anwalt erhält nur die Verfahrensgebühr nach Nr. 4124 VV. Eine Zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV fällt nicht an, da die Zwei-Wochen-Frist nicht gewahrt ist (Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 3 zu Nr. 4141 VV).
Rz. 165
Ebenso entsteht die Zusätzliche Gebühr, wenn das Berufungsverfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird (Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 1 zu Nr. 4141 VV).
Beispiel 97: Einstellung des Berufungsverfahrens unter Mitwirkung des Verteidigers
Aufgrund der Berufungsbegründung stellt das Gericht das Verfahren ein.
Neben der Verfahrensgebühr nach Nr. 4124 VV erhält der Anwalt eine Zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV (Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 1 zu Nr. 4141 VV).
1. |
Verfahrensgebühr, Nr. 4124 VV |
|
352,00 EUR |
2. |
Zusätzliche Gebühr, Nrn. 4141, 4124 VV |
|
352,00 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
724,00 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
137,56 EUR |
Gesamt |
|
861,56 EUR |
Rz. 166
Ebenso entsteht die Zusätzliche Gebühr, wenn die Berufung mehr als zwei Wochen vor einem eventuellen Hauptverhandlungstermin zurückgenommen wird (Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 3 zu Nr. 4141 VV).
Beispiel 98: Berufungsrücknahme durch Verteidiger (I)
Nach Berufungsbegründung, aber noch vor Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins, nimmt der Verteidiger die Berufung zurück.
Abzurechnen ist wie im vorangegangenen Beispiel 97. Der Anwalt erhält neben der Verfahrensgebühr nach Nr. 4124 VV eine Zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV (Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 3 zu Nr. 4141 VV).
Rz. 167
Beispiel 99: Berufungsrücknahme durch Verteidiger (II)
Wie vorangegangenes Beispiel 98; jedoch wird die Berufung erst eine Woche vor dem anberaumten Hauptverhandlungstermin zurückgenommen.
Jetzt entsteht nur die Verfahrensgebühr, da die Frist der Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 3 zu Nr. 4141 VV nicht eingehalten worden ist.
1. |
Verfahrensgebühr, Nr. 4124 VV |
|
352,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
372,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
70,68 EUR |
Gesamt |
|
442,68 EUR |
Rz. 168
Beispiel 100: Berufungsrücknahme durch die Staatsanwaltschaft
Aufgrund der Berufungserwiderung des Verteidigers nimmt die Staatsanwaltschaft noch vor Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins die Berufung zurück.
Abzurechnen ist wie im Beispiel 97. Wer die Berufung zurücknimmt, ist unerheblich. Der Anwalt erhält neben der Verfahrensgebühr nach Nr. 4124 VV eine Zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV (Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 3 zu Nr. 4141 VV) auch dann, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung zurücknimmt.
Die Einhaltung der Zwei-Wochenfrist ist hier nicht erforderlich. Die Zwei-Wochen-Frist gilt nur für die Rücknahme des eigenen Rechtsmittels.
Rz. 169
Beispiel 101: Berufungsrücknahme durch Neben- oder Privatkläger
Nach Berufungserwiderung,...