Prof. Dr. Günther Schneider
a) Grundlagen
Rz. 197
§ 116 Abs. 1 S. 1 SGB X knüpft den Forderungsübergang daran, dass der Sozialleistungsträger (Sozialversicherungsträger, Bundesagentur, Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende und Sozialhilfeträger) "aufgrund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen". Erforderlich ist damit, wie bereits der Wortlaut der Vorschrift deutlich macht, eine sachliche – auch als "gegenständlich" benannte – und zeitliche Kongruenz, d.h. eine insoweit gegebene Übereinstimmung zwischen dem Sozialleistungsanspruch und dem Schadensersatzanspruch (vgl. bereits Rdn 6). Sind sachliche und zeitliche Kongruenz zu bejahen, eröffnet dies den gesetzlichen Forderungsübergang.
Rz. 198
Bereits der zu § 1542 RVO a.F. ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lag die Erwägung zugrunde, dass der Sozialversicherungsträger wegen seiner Versicherungsleistungen an den Geschädigten aus übergegangenem Recht beim Schädiger nur im Umfang seiner Verantwortung für den dem Geschädigten zugefügten Schaden und auch in diesen Grenzen nur Rückgriff nehmen kann, "wenn und soweit die Versicherungsleistungen zeitlich und sachlich in einem inneren Zusammenhang mit dem Schaden stehen (Grundsatz der zeitlichen und sachlichen Kongruenz)". Dagegen begründete – so der Bundesgerichtshof – § 1542 RVO a.F. keine erweiterte Einstandspflicht des Ersatzpflichtigen für Belastungen auch des Sozialversicherungsträger durch dessen vom Gesetz angeordnete Leistungsverpflichtungen.
Rz. 199
Sachliche Kongruenz erfordert den inneren Zusammenhang der Leistung des Sozialversicherungsträger mit dem Schaden. Dienen Leistung des Sozialversicherungsträger und Schadensersatz demselben Zweck, bewirken sie folglich den Ausgleich ein und derselben schadensbedingten Lückendeckung des Verletzten, ist die sachliche Kongruenz zu bejahen. Die sachliche Kongruenz zwischen Leistung und Schadensersatzanspruch wird schon dann bejaht, wenn beide derselben Schadensart (z.B. Erwerbs- und Fortkommensschaden im Sinne von § 842 BGB) dienen, ohne dass der Sozialversicherungsträger die Deckung des konkreten Schadenpostens durch seine Leistung nachweisen muss. Es kommt auch nicht darauf an, ob der einzelne Schadensersatzposten vom Versicherungsschutz gedeckt ist. Etwas anderes gilt aber, wenn das durch den Schadensfall verwirklichte Risiko von vornherein nicht unter die Deckung des Sozialversicherungsträger fällt.
Rz. 200
Sachliche Kongruenz zwischen den Leistungen des Sozialversicherungsträger und dem Schadensersatz erfordert, wie dargelegt, dass die Leistung des Sozialversicherungsträger und der Schadensersatz demselben Zweck dienen, dass also der mit der Leistung verfolgte Zweck derselben Schadensposition zuzuordnen ist. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlangt, dass sich die Ersatzpflicht des Schädigers und die Leistungsverpflichtung des Sozialversicherungsträgers ihrer Bestimmung nach decken. Hiervon ist auszugehen, wenn die Leistung des Versicherungsträgers und der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz dem Ausgleich derselben Einbuße des Geschädigten dienen, sachliche Kongruenz zwischen Schaden und Sozialleistung besteht, wenn sich die Ersatzpflicht des Schädigers und die Leistungsverpflichtung des Sozialversicherungsträgers ihrer Bestimmungen nach decken. Es genügt, wenn der Sozialversicherungsschutz seiner Art nach den Schaden umfasst, für den der Schädiger einstehen muss; es kommt nicht darauf an, ob auch der einzelne Schadensposten vom Versicherungsschutz gedeckt ist.
Rz. 201
Zeitliche Kongruenz liegt vor, wenn sich die Leistungen des Sozialversicherungsträgers auf denselben Zeitraum beziehen, für den Schadensersatzansprüche bestehen. Der Sozialversicherungsträger darf – mit anderen Worten – nicht auf solche Schadensersatzansprüche zurückgreifen, für die er an den Geschädigten keine Leistungen erbringt. Gegebenenfalls ist für die Sozialleistung umrechnungsweise ein entsprechender zeitlicher Teilabschnitt zu bilden. So muss z.B. das Krankengeld, das täglich gezahlt wird (§ 47 Abs. 1 SGB V), dem zeitlich sich damit deckenden Schaden gegenübergestellt werden. Eine monatliche Rente muss aufgeteilt werden, wenn monatlich nur zeitweise ein Schaden besteht. Das Weihnachtsgeld ist auf das Jahr zu verteilen und dem monatlichen Erwerbsschaden gegenüberzustellen. Hinzuweisen bleibt aber darauf, dass die gesamte einem Geschädigten wegen seiner unfallbedingten Erwerbsunfähigkeit im betreffenden Jahr gezahlte Sozialhilfe seinem ersatzfähigen Verdienstausfall zeitlich und sachlich kongruent sein kann, wenn er ohne den Unfall seinen Jahresunterhalt aus den Einkünften einer nur während einzelner Monate ausgeübten Erwerbstätigkeit bestreitet.
Rz. 202
Hinsichtlich des Bestehens einer sachlichen Kongruenz haben sich in der Rechtsprechung Schadensgruppen gebildet, die der...