Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 12
§ 116 SGB X dient wie zuvor § 1542 RVO a.F. der Entlastung der Solidargemeinschaft der Sozialversicherten. Dem Schädiger wird der Einwand versagt, es sei kein Schaden entstanden, weil dem Betroffenen durch Leistungen der öffentlichen Versicherung ein gleichwertiger Vorteil zugefallen sei. Die Legalzession des § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X soll bewirken, dass der Leistungsträger, durch dessen Leistungen der Geschädigte schadensfrei gestellt wird, Rückgriff nehmen kann; der Schädiger soll durch die Sozialleistungen nicht unverdient entlastet werden, zugleich soll eine doppelte Entschädigung des Geschädigten vermieden werden. Die Vorschrift verfolgt insoweit vorrangig das Anliegen zu verhindern, dass dem Haftpflichtigen im wirtschaftlichen Ergebnis die Last des von ihm zu verantwortenden Schadens abgenommen und auf den Träger der Sozialversicherung endgültig verlagert wird; der Schädiger soll – allgemein anerkannten Grundsätzen der Vorteilsausgleichung entsprechend – nicht freigestellt werden, soweit er ohne das Bestehen der Sozialversicherung dem Geschädigten Ersatz zu leisten gehabt hätte. Bei dem Träger soll hiernach grundsätzlich nur das Risiko der Durchsetzbarkeit des Regressanspruchs verbleiben. Nichts anderes gilt hinsichtlich der durch Steuern finanzierten Sozialhilfe nach dem SGB XII sowie der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II): Soweit wegen einer schädigenden Handlung Sozialhilfe oder Leistungen der Grundsicherung erforderlich werden, geht es um die Entlastung der öffentlichen Haushalte.
Rz. 13
Die Anwendung des § 116 SGB X führt zugleich dazu, dass eine Doppelentschädigung (Sozialleistung und Schadensersatzanspruch) des Versicherten oder seiner Hinterbliebenen vermieden wird, ohne den Schädiger zu entlasten. Der betroffene Versicherte soll m.a.W. nicht von zwei Seiten Entschädigung erhalten. Der Gesetzgeber sieht es vielmehr als billig an, dass der Schädiger dem Versicherungsträger dessen Leistungen, soweit sie durch das Schaden stiftende Ereignis ausgelöst sind und sich im Rahmen des Schadensersatzanspruches halten, erstattet. Dieses Ergebnis wird durch einen gesetzlichen Übergang des Schadensersatzanspruches des Betroffenen auf den Versicherungsträger bewirkt. Auf diese Weise gelangt der Versicherte in den Genuss der Versicherungsleistung, ohne sich insoweit um die Verfolgung der ihm erwachsenen Schadensersatzansprüche bemühen zu müssen. Das Risiko dieser Rechtsverfolgung obliegt vielmehr dem Versicherungsträger. Dieser kann seinerseits vom Schädiger Ersatz der Leistungen verlangen, die er aufgrund des schädigenden Ereignisses nach Maßgabe der jeweiligen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften erbringen muss. Mitentscheidend für das zu erzielende Ergebnis war auch die Tatsache, dass viele Sozialleistungen (z.B. Rente, Verletztengeld bzw. Krankengeld, Arbeitslosengeld, Hinterbliebenenleistungen) abstrakt, ohne Nachweis der konkreten Bedürftigkeit bzw. im Schadensfall ohne Nachweis eines konkreten Schadens, erbracht werden. Wenn der Schädiger nicht freigestellt werden soll, soweit er ohne das Bestehen der Sozialversicherung dem Geschädigten Ersatz zu leisten gehabt hätte, wird hiermit ein Grundsatz der Vorteilsausgleichung (dazu Rdn 12; § 2 Rdn 565 ff.) verfolgt.
Rz. 14
Aus dem Vorstehenden wird deutlich, dass die gesetzlichen Leistungen der Sozialversicherungsträger für sich allein keine erweiterte Eintrittspflicht des Schädigers begründen. Sie sind nur dann erstattungsfähig, wenn und soweit ihnen ein konkreter zivilrechtlicher Schaden (Kongruenz) gegenübersteht. Die Differenz zwischen der durch den Schadensfall ausgelösten SV-Leistung und dem regressierten Schaden kann durch den Sozialversicherungsträger auch nicht als eigener Schaden geltend gemacht werden. Andererseits ist der eigene Schaden aber auch keine Voraussetzung für den Regress nach § 116 SGB X. Hat etwa der Rentenversicherer beim Tod eines Rentners, der eine Witwe hinterlässt, aufgrund des Unfalls eine gegenüber der Versichertenrente im Sinne der §§ 33 ff. SGB VI geringere Witwenrente zu entrichten, kann er trotzdem deswegen Regress beim Schädiger nehmen. Auf § 116 Abs. 5 SGB X bleibt indessen hinzuweisen (dazu Rdn 263 ff.).