Rz. 104
Stellt das Arbeitsgericht durch Urteil fest, dass das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung nicht aufgelöst wurde, jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zu zumuten ist, so hat es nach § 9 KSchG auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die Höhe der Abfindung bestimmt sich dann nach § 10 KSchG. Das so ergehende Urteil bildet als Zahlungstitel die Grundlage der Zwangsvollstreckung.
Rz. 105
Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses tritt erst mit der Rechtskraft des Urteils als gestalterische Wirkung dieses Urteil ein. Als Folge davon ergibt sich als Problem, dass erst in diesem Zeitpunkt, d.h. der Rechtskraft des Urteils ein endgültiger Anspruch auf die nach §§ 9, 10 KSchG festgelegte Abfindungszahlung entstehen kann.
Rz. 106
Insoweit wird vertreten, dass eine Vollstreckung der Abfindungszahlung vor der Rechtskraft des entsprechenden Gestaltungsurteils nicht möglich ist. Vielmehr fehle einer solchen Vollstreckung das Rechtschutzbedürfnis, sodass in jedem Fall die Rechtskraft des Urteils abgewartet werden müsse.
Rz. 107
Das BAG hat sich zu Recht der Gegenauffassung angeschlossen und festgestellt, dass auch ein Urteil auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der damit verbunden Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindungssumme vorläufig vollstreckbar ist.
Rz. 108
Praxishinweis
Folgerichtig kann der obsiegende Arbeitnehmer für die Zeit ab richterlicher Festsetzung der Abfindung (also vor Eintritt der Rechtskraft des Urteils) eine Verzinsung des Abfindungsbetrags verlangen.
Rz. 109
Wie bei allen anderen für vorläufig vollstreckbar erklärten oder kraft Gesetzes vorläufig vollstreckbaren Titeln trägt einerseits der Gläubiger das Risiko, dass er bei einer späteren Korrektur der vollstreckbaren Entscheidung Schadensersatz leisten muss. Über § 62 Abs. 2 S. 1 ArbGG findet die entsprechende Regelung in § 717 Abs. 2 und 3 ZPO Anwendung. Andererseits trägt der Schuldner, vorliegend also der Arbeitgeber, das Risiko, dass er zunächst freiwillig oder im Wege der Zwangsvollstreckung die Abfindungssumme ausgleichen muss und bei einer späteren Korrektur des Urteils in der Rechtsmittelinstanz nur einen Anspruch auf Rückgewähr der gezahlten Abfindungssumme hat. Wie sonst auch trägt der Arbeitgeber als Schuldner damit das Risiko, dass der Arbeitnehmer in Zukunft hinreichend liquide ist, um diesen Rückzahlungsanspruch und ggf. auch einen weitergehenden Schadensersatzanspruch, etwa auf Ersatz von Finanzierungskosten, zu erfüllen.
Rz. 110
Das BAG hat in seiner Leitentscheidung hierzu weiter festgehalten, dass die vorläufige Vollstreckbarkeit der Abfindungsurteile auch dem besonderen Sinn und Zweck des § 62 Abs. 1 S. 1 ArbGG gerecht wird. Dieser liege darin, in allen arbeitsrechtlichen Streitigkeiten der klagenden Partei, d.h. in der Regel dem Arbeitnehmer möglichst rasch die Befriedigung eines gerichtlich zuerkannten Anspruchs zu ermöglichen. Damit trage das Gesetz dem Umstand Rechnung, dass Arbeitnehmer in aller Regel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts auf ihr Arbeitseinkommen angewiesen sind. Dies trifft auch und insbesondere dann zu, wenn Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verloren haben und ihnen wegen sozialwidriger Kündigung eine Abfindung zuerkannt wird. Die Abfindung wird in der Regel wegen Wegfalls des bisherigen Arbeitseinkommens auch zur Bestreitung des Lebensunterhalts des Arbeitnehmers benötigt.
Rz. 111
Der vollstreckende Arbeitnehmer kann die Abfindungszahlung allerdings erst ab dem Zeitpunkt verlangen, der im Urteil als Auflösungszeitpunkt für das Arbeitsverhältnis genannt ist. Liegt dieser Zeitpunkt erst in der Zukunft, kann auch erst dann der Zahlungsanspruch durchgesetzt werden. Die Titulierung lässt also die Frage der Fälligkeit zunächst unberührt. War die Abfindung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits fällig, ist diese auch ungeachtet möglicher Rechtsmittel sofort vollstreckbar. Handelt es sich dagegen um eine zukünftige Forderung, so ist diese ebenfalls ungeachtet aller Rechtsmittel dann vollstreckbar, wenn die Fälligkeit, d.h. das Ende der Kündigungsfrist, erreicht ist.
Rz. 112
Praxishinweis
Ist der Arbeitnehmer als Gläubiger der Abfindungszahlung selbst Schuldner eines Dritten und greift dieser Dritte im Wege der Zwangsvollstreckung auf die Abfindungszahlung zu, so ist die nach §§ 9, 10 KSchG festgesetzte Abfindung dem Pfändungsschutz nach § 850i ZPO unterworfen. Ein nach §§ 9, 10 KSchG an den Arbeitnehmer zur Wahrung der sozialen Besitzstandes zu zahlender Abfindungsbetrag ist mindestens insoweit pfandfrei zu belassen, als das Einkommen des Schuldners nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Pfändungsfreibetrag gem. der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung nach § 850c Abs. 4 ZPO nicht erreicht, und zwar für die Dauer eines angemessenen Zeitraums. Das LG Münster hält dabei einen Zeitraum von zumindest sechs Monaten für angemessen.