Rz. 79
Unabhängig vom konkreten Verhandlungsstil wird das Verhandlungsergebnis selbstverständlich ganz wesentlich davon geprägt, welches Risikopotential für die jeweilige Gegenseite vorhanden ist. Aus Arbeitnehmersicht muss es daher, so ein Abfindungsvergleich erzielt werden soll, darum gehen, möglichst viele und möglichst schmerzhafte Risikofelder des Arbeitgebers zu betreten.
Rz. 80
Im Einzelnen kann hier über den Bestandsschutz hinaus an folgende Felder gedacht werden:
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Erhöhung des Annahmeverzugslohnrisikos durch Ausdehnen möglicher Zahlungsansprüche im Hinblick auf Überstundenvergütung oder variable Vergütungsansprüche, Verzögern des Rechtstreits usw.; |
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Führen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens wegen Weiterbeschäftigung nach Ablauf der Kündigungsfrist; |
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Einladung zur Betriebsversammlung zur Bestellung eines Wahlvorstandes im betriebsratslosen Betrieb (selbstverständlich darf hier kein Konnex zur konkreten Abfindungsvorstellung des Arbeitnehmers gemacht werden); |
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einstweilige Verfügung auf Gewährung von Urlaub; |
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Ansprüche aus den Landesgesetzen über Bildungsurlaub; |
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Überprüfung des Betriebes nach der Arbeitsstättenverordnung, Bitte des Arbeitnehmers, Abhilfe im Hinblick auf etwaige Missstände zu schaffen, ggf. Einschalten der Aufsichtsbehörde (auch hier darf selbstredend kein direkter Konnex zur Abfindungsverhandlung gezogen werden); |
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Überprüfung der Vorgaben nach anderen arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften, wie Arbeitszeitgesetz, Arbeitsschutzgesetz inkl. Fragen der Gefährdungsbeurteilung etc.; |
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AGG-Themen (Diskriminierung etc.), Datenschutzthemen (zurzeit sehr beliebt, Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO). |
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Die Höhe einer Abfindung steht sicherlich auch im Zusammenhang mit der Höhe möglicher oder bereits aufgelaufener Annahmeverzugslohnansprüche. Daher kann es durchaus Sinn machen, das Verfahren zu verschleppen, soweit dies möglich erscheint. Dies kann über das einvernehmliche Ruhen des Verfahrens erfolgen, über das Stellen von Verlegungsanträgen, über das Verlagern von Vergleichsgesprächen aus der Güteverhandlung, in die Kammerverhandlung usw. Sinnvoll ist dieses Vorgehen natürlich nur, wenn man sich sehr sicher sein kann, wirklich gute Karten zu haben. |
Rz. 81
Häufig ist auch zu beobachten, dass Arbeitnehmer nach Zugang einer Kündigungserklärung vermehrt erkranken, allenfalls Dienst nach Vorschrift leisten usw. Ob und wenn ja welche dieser Mittel, den Druck auf die Arbeitgeberseite zu erhöhen, genutzt werden, muss letztlich vom Mandanten entschieden werden. Jedenfalls ist hier mit äußerstem Fingerspitzengefühl vorzugehen, will man sich als Arbeitnehmer nicht noch zusätzlich dem Vorwurf eines Fehlverhaltens aussetzen.
Rz. 82
Auf Arbeitgeberseite sind die Möglichkeiten, den Druck auf den Arbeitnehmer zu erhöhen, beschränkter. Während des Laufs der Kündigungsfrist kann das Arbeitsumfeld so unangenehm wie möglich gestaltet werden, im Rahmen des Direktionsrechts kann der Arbeitnehmer versetzt/umgesetzt werden, es können Abmahnungen ausgesprochen werden, um das Arbeitsverhältnis weiter zu belasten usw. Zu Zeiten der Arbeitsunfähigkeit kann der medizinische Dienst eingeschaltet werden.
Rz. 83
Nach Ablauf der Kündigungsfrist wird es aus Arbeitgebersicht nur noch darum gehen, das Annahmeverzugslohnrisiko zu minimieren. Erkennt der Arbeitgeber, dass der Arbeitnehmer an einer Weiterbeschäftigung tatsächlich nicht interessiert ist, so kann es ein probates Mittel sein, zu erklären, dass aus der streitgegenständlichen Kündigung keine Rechte mehr hergeleitet werden oder ein Anerkenntnis abzugeben. Verbindet der Arbeitgeber dies mit der konkreten Aufforderung (Datum, Uhrzeit, Ort und Art der Tätigkeit) die Beschäftigung wieder aufzunehmen, so endet der Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer diesem Angebot nicht nachkommt. Möchte der Arbeitgeber an der Kündigung festhalten und bietet er dem Arbeitnehmer an, während des Prozesses weiterzuarbeiten, so endet nach der herrschenden Meinung der Annahmeverzug nicht. Lehnt der Arbeitnehmer in dieser Situation das Angebot des Arbeitgebers auf zumutbare Weiterbeschäftigung ab, so kann die Ablehnung ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs i.S.v. § 11 Nr. 2 KSchG darstellen. Entscheidend hierfür sind die Umstände des Einzelfalles. Im Regelfall dürfte dem Arbeitnehmer bei betriebs- und personenbedingten Kündigungen die Weiterbeschäftigung im Rahmen einer Prozessbeschäftigung zumutbar sein.
Rz. 84
Taktisch verbessert der Arbeitgeber seine Situation auch, wenn er Kenntnis davon erhält, dass der Arbeitnehmer anderweitigen Zwischenverdienst erzielt oder es böswillig unterlassen hat, anderweitigen Zwischenverdienst zu erzielen. Ob der Arbeitnehmer hierbei etwa verpflichtet ist, während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses die Vermittlung der Bundesagentur für Arbeit in Anspruch zu nehmen, ist immer noch streitig. Ablehnende Stimmen verweisen auf Art. 12 GG. Dagegen wird auf den Grundsatz von Treu und Glauben verwiesen, der regelmäßig eine Me...