Rz. 34
Tipp: Notwendige Urteilsgründe
Zu den für die Annahme der relativen Fahruntauglichkeit notwendigen Urteilsfeststellungen (BayObLG DAR 2003, 428; LG Bonn DAR 2013, 38).
1. Ab 0,3 ‰
Rz. 35
Relative Fahruntüchtigkeit kommt ab 0,3 ‰ (BGH VRS 49, 429; OLG Köln zfs 1991, 33) – nicht jedoch (LG Hamburg DAR 2003, 575) bzw. nur in extremen Ausnahmefällen und bei außergewöhnlichen Indizien (OLG Zweibrücken BA 1999, 244; OLG Saarbrücken zfs 1999, 356) bei darunter liegenden Werten – in Betracht, also in Fällen, in denen zwar der Grenzwert von 1,1 ‰ noch nicht erreicht ist, aber bestimmte Ausfallerscheinungen den Schluss auf eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit zulassen (BGHSt 22, 352).
Rz. 36
Achtung: Je höher die Alkoholisierung, desto niedriger die zu fordernden Beweisanzeichen
Je höher die Blutalkoholkonzentration ist, umso geringere Anforderungen sind an die sonstigen Beweisanzeichen zu stellen (OLG Düsseldorf zfs 1991, 393).
Rz. 37
Tipp: Umkehrschluss
Dann muss aber auch im Umkehrschluss gelten, dass bei niedrigeren Blutalkoholkonzentrationen die Beweisanzeichen massiv sein müssen (OLG Hamm r+s 2003, 188; LG Darmstadt, Beschl. v. 12.3.2018 – 3 Qs 112/18; AG Berlin-Tiergarten NZV 2019, 213).
2. Grundsatzentscheidung
Rz. 38
Grundlegend und zusammenfassend hierzu BGH (BGHSt 31, 42; BGH DAR 1982, 296):
Zitat
"Die “relative‘ Fahruntüchtigkeit unterscheidet sich dabei von der “absoluten‘ nicht in dem Grad der Trunkenheit oder der Qualität der alkoholbedingten Leistungsminderung, sondern allein hinsichtlich der Art und Weise, wie der Nachweis der Fahruntüchtigkeit als psychophysischer Zustand herabgesetzter Gesamtleistungsfähigkeit zu führen ist. Dabei stellt die BAK das wichtigste Beweisanzeichen dar."
Rz. 39
Da sie den Grenzwert (von jetzt 1,1 ‰), von dem an absolute Fahruntüchtigkeit unwiderleglich vorliegt, nicht erreicht, müssen weitere Tatsachen festgestellt werden, die als Beweisanzeichen geeignet sind, dem Tatrichter die Überzeugung von der Fahruntüchtigkeit des Angeklagten zu vermitteln.
Rz. 40
Von – wenn auch unterschiedlicher – Bedeutung sind dabei folgende tatsächlichen Umstände: Zunächst in der Person des Angeklagten liegende Gegebenheiten, wie Krankheit oder Ermüdung (innere Umstände), sodann äußere Bedingungen der Fahrt, wie Straßen- und Witterungsverhältnisse (äußere Umstände), und schließlich das konkrete äußere Verhalten des Angeklagten (sog. "Ausfallerscheinungen"), das durch die Aufnahme alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel mindestens mitverursacht sein muss.
Rz. 41
Bei der Beweisführung für die relative Fahruntüchtigkeit kommt diesen tatsächlichen Umständen unterschiedliche Bedeutung zu: Während relative Fahruntüchtigkeit auch dann vorliegen kann, wenn weder schwierige äußere Umstände noch neben der Beeinflussung des Angeklagten durch Alkohol oder andere berauschende Mittel weitere leistungsmindernde innere Umstände gegeben sind, ist eine – wenn auch nur geringe – Ausfallerscheinung, die durch die Aufnahme alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel zumindest mitverursacht worden sein muss, für die richterliche Überzeugungsbildung grundsätzlich unverzichtbar.
Rz. 42
Auch bei einer BAK, die nahe an den Grenzwert heranreicht, und bei gleichzeitigem Vorliegen besonders ungünstiger objektiver und subjektiver Umstände der genannten Art muss ein erkennbares äußeres Verhalten des Angeklagten festgestellt werden, das auf seine Fahruntüchtigkeit hindeutet (LG Gießen SVR 2014, 29).
Dabei sind die an eine konkrete Ausfallerscheinung zu stellenden Anforderungen umso geringer, je höher die Blutalkoholkonzentration und je ungünstiger die objektiven und subjektiven Bedingungen der Fahrt des Angeklagten sind.“
Rz. 43
Achtung: Gesamtwürdigung erforderlich
Das Gericht darf sich nicht nur an einzelnen Indizien orientieren, sondern muss eine Gesamtwürdigung sämtlicher Tatumstände vornehmen (OLG Hamm NZV 2005, 654).
3. Informativ
Rz. 44
Gleichfalls nachlesenswert zur relativen Fahruntauglichkeit, vor allem in Fällen von Fahrfehlern wie z.B. Geschwindigkeitsüberschreitung etc., ist die Entscheidung OLG Köln NZV 1995, 454.
4. Äußere Umstände allein bedeutungslos
Rz. 45
Sowohl inneren als auch äußeren Umständen kann also immer erst dann eine Bedeutung zukommen, wenn Ausfallerscheinungen feststehen. Deshalb kann z.B. ohne Feststellung von Ausfallerscheinungen relative Fahruntüchtigkeit auch nicht alleine darin gesehen werden, dass die Fahrt trotz widriger äußerer Umstände fortgesetzt wurde (BayObLG NZV 1990, 37).
5. Tipp: Alkoholbedingte Ausfallerscheinung muss feststehen
Rz. 46
Eine Verurteilung wegen §§ 316 ff. StGB setzt in diesen Fällen stets die Feststellung einer wie auch immer gearteten, wenn auch nur mitwirkenden, alkoholbedingten Ausfallerscheinung voraus (BGH NZV 1999, 48; OLG Düsseldorf VRS 96, 107; LG Bonn DAR 2013, 38). Das gilt auch dann, wenn der absolute Wert von 1,1 ‰ nur knapp unterschritten ist und zusätzlich noch andere berauschende Mittel nachgewiesen sind (LG Gießen SVR 2014, 29). Auch hier ist der bloße Rück...