Rz. 85

Besonderes Fingerspitzengefühl können Verteidiger und (Jugend-)Richter beweisen, wenn es um Verkehrsordnungswidrigkeiten gegen Jugendliche und Heranwachsende geht. Denn dort kann es Sachverhalte geben, die einen eindeutigen Verstoß beinhalten, jedoch von der Rechtsfolge her, also über die bloße Geldbuße samt eintragungspflichtigen Punkten hinaus, so gravierend für den Betroffenen sind [Nachschulung, Verlängerung der Probezeit], dass sich auch eine Verfahrenseinstellung anböte. Wenn der Bußgeldrichter aufgrund des eigentlich eindeutigen Verstoßes eine reine Einstellung ebenso scheut wie die Reduzierung der Geldbuße auf 55 EUR, kommt eine Gestaltungsvariante ins Spiel, die in der Kommentarliteratur zwar angedacht, aber offenbar kaum praktiziert wird: die vorläufige Einstellung des Verfahrens mit Anordnung von gemeinnützigen Arbeitsstunden. Dies wird durch § 47 Abs. 3 OWiG nicht verboten und in der Kommentarliteratur wird eine (vorläufige) Einstellung mit anderen Auflagen als einer Geldzahlung i.S.d. Abs. 3 durchaus für möglich erachtet.[79] Dies umfasst etwa eine Schmerzensgeldzahlung an den Geschädigten[80] oder die Beseitigung eines rechtswidrigen Zustands. Dazu gehört aber selbstverständlich auch die Ableistung von Sozialstunden. Der bloße Wortlaut des § 47 OWiG verbietet eine vorläufige Einstellung a maiore ad minus ebenfalls nicht. Auch ein Vergleich mit § 47 JGG für leichte Verkehrsstraftaten unterstützt die Überlegung der vorläufigen Einstellung. Diese Lösung kann aber nur in bestimmten Fallkonstellationen sinnvoll zum Tragen kommen. Denn im Rahmen des Opportunitätsprinzips ist (auch) entscheidend, ob die Durchführung des Verfahrens und gegebenenfalls die Ahndung notwendig und angemessen sind, um die Verkehrsdisziplin allgemein und beim einzelnen Betroffenen zu steigern.[81]

 

Rz. 86

Für eine vorläufige Einstellung ist zunächst erforderlich, dass der Betroffene bisher verkehrsrechtlich weitgehend unbescholten ist, es sich idealerweise um den ersten Verstoß handelt. Des Weiteren darf der Grad der Vorwerfbarkeit des Verhaltens nicht so hoch sein, dass eine Verfahrenseinstellung gar nicht denkbar wäre.[82] Schließlich muss der Betroffene auch eine Einsicht in das Fehlverhalten zeigen: Eine Einstellung kommt also nicht in Betracht, wenn der Verstoß vehement bestritten wird.

 

Rz. 87

Als Anwendungsfälle kommen vor allem zwei Gestaltungen in Frage: der Verkehrsverstoß im Laufe der Probezeit, § 2a StVG, mit den Rechtsfolgen nach § 2a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StVG und § 2a Abs. 2a StVG, sowie der Verkehrsverstoß des begleitenden Erwachsenen beim Fahren mit 17 Jahren, § 6e StVG i.V.m. § 48a FeV. Die erwachsene Begleitperson darf nämlich nach § 48a Abs. 5 S. 1 Nr. 3 FeV zum Zeitpunkt der Beantragung der Fahrerlaubnis im Verkehrszentralregister mit nicht mehr als einem Punkt belastet sein.[83] Wenn also durch den Erwachsenen ein Verstoß begangen wurde, der die Punktezahl auf über 1 bringen und damit der Antrag des 16-Jährigen auf Erteilung der Fahrerlaubnis scheitern würde, wäre dies ein so erheblicher Nachteil, dass eine Einstellung geboten erscheint. Dass der Nachteil dabei einer nahe stehenden dritten Person droht, ist kein Hindernis.[84]

 

Rz. 88

Muster 37.26: Vorläufige Einstellung mit Arbeitsauflage

 

Muster 37.26: Vorläufige Einstellung mit Arbeitsauflage

An die Zentrale Bußgeldbehörde _________________________/An das Amtsgericht _________________________

Sehr geehrte _________________________,

nach bereits erfolgter Bestellung für den Betroffenen und nach erhaltener Akteneinsicht beantrage ich, das Verfahren nach § 47 OWiG einzustellen.

Mein Mandant ist Heranwachsender im Sinne des JGG und befindet sich hinsichtlich seiner Fahrerlaubnis noch in der Probezeit, die bald beendet wäre. Durch den jetzt begangenen Verstoß, den mein Mandant aus Unachtsamkeit begangen hat und für welchen er die volle Verantwortung übernimmt, würde bei Anordnung des Regelbußgeldes und der daraus resultierenden Bepunktung im Fahreignungsregister die Probezeit verlängert werden und mein Mandant müsste an einem für ihn angesichts seiner geringen Ausbildungsvergütung nur schwer finanzierbaren Aufbauseminar teilnehmen. Allein schon diese (mittelbaren) Folgen des Verstoßes wiegen im Vergleich zur Geldbuße von 80 EUR so schwer, dass sich die Frage des richtigen Verhältnisses zur im Raum stehenden Sanktion stellt. Denn der Betroffene hat sich bisher verkehrsrechtlich vorbildlich verhalten und hat keine Verstöße irgendwelcher Art jemals begangen.

Höchst hilfsweise beantrage ich, das Verfahren vorläufig einzustellen mit der Auflage, binnen zwei Monaten die Ableistung von 25 Stunden gemeinnütziger Arbeit nachzuweisen. Diese Gestaltungsmöglichkeit ist zulässig (vgl. Gutt/Krenberger, zfs 2013, 549) und im Zuständigkeitsbereich des Jugendrichters auch geboten. Diese Auflage würde meinen Mandanten, der durch die Ausbildung in seiner Freizeit ohnehin begrenzt ist, deutlich belasten, denn er würde die folgenden drei eigentlich freien Samstage in der Einrichtung _...

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