Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 64
Wie eingangs dargelegt (Rdn 12) wirft die Behandlung in Fällen der sog. Eingliederung zur Frage der Einbeziehung in das Haftungsprivileg vor allem in tatsächlicher Hinsicht Probleme auf. In rechtlicher Hinsicht bereitet sie dagegen keine größeren Schwierigkeiten, weil die Einschränkung der Haftung nach § 104 SGB VII infolge einer "Eingliederung" im Wesentlichen in den folgenden Fallgruppen in Betracht kommt:
1. |
Der Unfallvorgang ist dem Stammbetrieb des Schädigers als Unfallbetrieb zuzuordnen; der Geschädigte ist in diesen Betrieb eingegliedert. |
2. |
Der Unfallvorgang ist dem Stammbetrieb des Geschädigten als Unfallbetrieb zuzuordnen; der Schädiger ist in diesen Betrieb eingegliedert. |
3. |
Der Unfallvorgang ist weder dem Stammbetrieb des Schädigers noch dem Stammbetrieb des Geschädigten, sondern einem dritten Unfallbetrieb zuzuordnen. Geschädigter und Schädiger sind in den Unfallbetrieb eingegliedert. |
Liegt eine dieser Fallgruppen vor, ist "Eingliederung", mithin das Vorliegen einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung zum Unternehmen mit der Folge des Eingreifens des § 104 SGB VII zu bejahen.
Rz. 65
§ 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII verlangt tatbestandlich eine Tätigkeit des Versicherten für das Unternehmen oder dass der Versicherte zum Unternehmen in einer sonstigen, die Versicherung begründenden Beziehung steht. Mit dieser Formulierung hat der Gesetzgeber die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung zur sog. Eingliederung in den Gesetzeswortlaut aufgenommen (vgl. im Einzelnen Rdn 68 ff.). Hiernach ist der Unternehmer auch gegenüber einem Betriebsfremden von der Haftung frei, der sich infolge einer dem Unternehmen dienlichen Tätigkeit in dieses eingegliedert hat und deshalb im Augenblick des Unfalls auch Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII genießt.
Rz. 66
Auch spontane oder punktuelle Tätigkeiten wie Handreichungen können für eine "Eingliederung" des Verletzten in den Unfallbetrieb ausreichen. Eine auf familiären oder nachbarschaftlichen Beziehungen beruhende alltägliche Gefälligkeit fällt jedoch nicht darunter.
Rz. 67
Es hat sich in der Praxis als zweckmäßig erwiesen, bei der Prüfung der Eingliederungsfälle in dieser Reihenfolge vorzugehen, weil an die Eingliederung des Geschädigten in tatsächlicher Hinsicht geringere Anforderungen als bei der Eingliederung des Schädigers bestehen. Fälle der Eingliederung des Geschädigten und des Schädigers in einen dritten Unfallbetrieb sind dagegen selten.
I. Übersicht
Rz. 68
Die Prüfung des Haftungsausschlusses ist problemlos, solange alle am Arbeitsunfall Beteiligten zweifelsfrei ein und demselben Betrieb angehören.
Rz. 69
Wenn beispielsweise der Unternehmer oder ein langjährig bei ihm beschäftigter Vorarbeiter den ebenfalls langjährig im gleichen Betrieb beschäftigten Versicherten bei einem Arbeitsvorgang verletzen, ist auf den ersten Blick zu sehen, dass der Haftungsausschluss durchgreift.
Rz. 70
So einfach liegen die Dinge indessen nicht, wenn ein Arbeitnehmer in einem anderen Unternehmen als seinem Stammunternehmen einen Arbeitsunfall erlitten hat. Dies ist häufig so, weil Arbeitsvorgänge überwiegend ein enges, arbeitsteiliges Zusammenwirken verschiedener Unternehmen/Betriebe erfordern. In diesen Fällen bleibt zu prüfen, welchem Unfallunternehmen/-betrieb der Unfallvorgang zuzuordnen ist und ob und inwieweit die Beteiligten, sofern nicht Stammarbeiter, dort eingegliedert sind (vgl. die Prüfungsreihenfolge in Rdn 64).
Rz. 71
In der Praxis geht es regelmäßig um solche Fälle, in denen ein Arbeitnehmer bzw. der Unternehmer den Risikobereich seines Stammbetriebs verlässt und sich, etwa bei der Lieferung von Waren, in den Risikobereich eines anderen Betriebes begibt, wo es dann, etwa beim Entladen der gelieferten Waren, zum Schaden kommt.
Rz. 72
Entscheidend ist dann die Frage, ob der Geschädigte beim Entladevorgang, der den Schaden auslöste, wie ein Arbeitnehmer des für ihn fremden Unfallbetriebs tätig war. Ist dies der Fall, dann ist er in diesem Betrieb nach § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII gegen Arbeitsunfall versichert mit der Folge, dass er nach § 104 SGB VII seinen Anspruch auf Ersatz des Personenschadens verliert, und zwar auch den Schmerzensgeldanspruch.
Rz. 73
Ergibt sich jedoch, dass der Geschädigte den Unfall zwar in dem fremden Unternehmen erlitten hat, aber nicht wie ein Arbeitnehmer dieses Betriebs tätig war, sondern allein im Interesse seines eigenen Stammbetriebs gehandelt hatte, so behält er seine Schadensersatzansprüche.
Es geht – mit anderen Worten – um ein Abgrenzungsproblem.
II. Eingliederung des Geschädigten
Rz. 74
Die Grundsätze der Eingliederung sind im Rahmen der §§ 104, 105 SGB VII wie die sich im Rahmen des § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII stellenden zu beurteilen. Auf die damit wegen der fehlenden Eingrenzung des Begriffs "Personen" in § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII auch im Rahmen der Anwendung der §§ 104, 105 SGB VII gegebene Gefahr der normativen Konturlosigkeit ist hinzuweisen (vgl. da...