Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 352
Über die Rechtslage beim Zusammentreffen eines Rückgriffsanspruchs aus § 116 SGB X (außerhalb des Sozialversicherungsverhältnisses stehender Dritter) mit dem Rückgriffsanspruch gegen den Unternehmer aus § 110 SGB VII enthält das Gesetz keinerlei Bestimmungen.
Rz. 353
Der nach dem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch in Verbindung mit § 116 SGB X zur Leistung an den Versicherungsträger verpflichtete Schädiger hat eine dem bürgerlichen Recht angehörende, zum Zweck der Schadloshaltung des Verletzten bestehende Verpflichtung zu erfüllen.
Rz. 354
Der Unternehmer ist dagegen aufgrund einer dem öffentlichen Recht (§ 110 SGB VII) angehörenden Bestimmung zur unmittelbaren Leistung an den Versicherungsträger verpflichtet mit dem Zweck, diesen hinsichtlich seiner Aufwendungen anlässlich des Unfalls schadlos zu halten.
Rz. 355
Beide Ansprüche unterscheiden sich daher sowohl in ihrer rechtlichen Wurzel als auch in ihrer Zweckbestimmung. Ein echtes Gesamtschuldverhältnis im Sinne des § 421 BGB entsteht daher nicht. Wohl aber sind beide Forderungen insofern gleich, als es sich der Höhe nach um die Aufwendungen des Versicherungsträgers handelt. Es besteht daher ein unechtes Gesamtschuldverhältnis.
Rz. 356
Aus diesem Wesen der Beziehungen unter den Gesamtschuldnern ergibt sich, dass § 426 BGB keine Anwendung findet, mithin niemals ein Ausgleichsanspruch unter den beiden Schuldnern zur Entstehung gelangt. Dagegen muss § 422 BGB angewendet werden, weil der Versicherungsträger nicht zweimal Zahlung verlangen kann. Die Erfüllung durch einen der beiden Schuldner wirkt mithin auch zugunsten des anderen; sie bringt beide Schuldverhältnisse zum Erlöschen, da ein Rechtsübergang der Forderungen des Versicherungsträgers auf den zahlenden Schuldner nicht in Betracht kommt.
Rz. 357
Der Versicherungsträger kann gem. § 421 BGB die Leistung von jedem der Schuldner ganz oder zum Teil fordern. Keiner der beiden Ansprüche ist gegenüber dem anderen subsidiär. Z.B. kann die Berufsgenossenschaft von dem Schädiger die volle Zahlung verlangen und den zu ihren Mitgliedern zählenden Betriebsunternehmer damit entlasten. Dieser hat aber hierauf keinen Anspruch. Es ist den Versicherungsträgern vielmehr völlig freigestellt, wie sie in diesem Falle entscheiden. Es handelt sich nicht um eine Ermessenentscheidung im Sinne des Verwaltungsrechts, sondern um ein freies Wahlrecht im Sinne des bürgerlichen Rechts (§ 421 BGB). Demgemäß kann die von dem Versicherungsträger getroffene Wahl unter den Schuldnern weder vor den Sozialgerichten noch mit der Dienstaufsichtsbeschwerde erfolgreich angefochten werden.
Rz. 358
Es ist danach durchaus zulässig, wenn der Versicherungsträger den Rückgriffsanspruch teils aufgrund des § 116 SGB X gegen den Schädiger, teils aufgrund des § 110 SGB VII gegen den Unternehmer oder einen Gleichgestellten geltend macht. Nimmt der Versicherungsträger beide Verpflichtete in Anspruch, so kann er dieselben Beträge nur einmal beitreiben, da er sie nur einmal verlangen kann.
Rz. 359
Muss sich der Versicherungsträger beim Rückgriff nach § 116 SGB X ein Mitverschulden des Unternehmers anrechnen lassen, mindert sich dieser Anspruch um den Teil des Schadens, für den im Ausgleichsverhältnis der Unternehmer aufkommen müsste. Für diesen Teil der Aufwendungen ist daher der Sozialversicherungsträger praktisch gehalten, seinen Rückgriffsanspruch nur aufgrund des § 110 SGB VII gegen den Unternehmer zu richten, sobald die Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind.
Rz. 360
Regressverzichtsabkommen, durch das die Berufsgenossenschaft gegenüber einem Haftpflichtversicherer gegen Zahlung einer Jahrespauschale auf Ansprüche nach § 110 SGB VII (§ 640 RVO a.F.) verzichtet, hindert sie nicht, gegen nicht in die Haftungsablösung der §§ 104, 105 SGB VII (§§ 636, 637 RVO a.F.) einbezogene Mitschädiger in Höhe von deren Verantwortungsanteil Rückgriff nach § 116 SGB X zu nehmen.
Rz. 361
Wie dargelegt (Rdn 355) unterscheiden sich § 110 SGB VII und § 116 SGB X sowohl in ihrer rechtlichen Wurzel als auch in ihrer Zweckbestimmung. Folgerichtig scheidet eine analoge Anwendung des in § 116 Abs. 6 SGB X geregelten Familienprivilegs auf den Aufwendungsersatzanspruch aus § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII aus.