I. Tathandlung "sich berauschen"
Rz. 54
Nach dieser Vorschrift macht sich strafbar, wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen so hochgradigen Rausch versetzt, dass er schuldunfähig wird, oder in einen Zustand gerät, bei dem die Schuldunfähigkeit nicht auszuschließen ist und er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht. Vorsatz oder Fahrlässigkeit müssen sich auf das "Sich-Berauschen" beziehen.
II. Rauschtat von Schuld mit umfasst?
Rz. 55
Streitig ist, ob die Rauschtat von der Schuld mit umfasst werden muss. Der BGH jedenfalls lässt das Wissen des Täters ausreichen, er könne im Rausch irgendwelche Ausschreitungen begehen, falls er nicht vorbeuge (BGHSt 10, 247).
Rz. 56
Beim Vollrausch liegt diese Gefahr auf der Hand, so dass es nur dann einer Prüfung bedarf, wenn besondere Zurüstungen getroffen worden sind, die nach menschlicher Voraussicht den Täter daran hindern mussten, während des Rausches irgendwelche strafbaren Handlungen zu begehen (BayObLG NZV 1990, 317).
Rz. 57
Achtung: Strafschärfende Berücksichtigung der Rauschtat?
Die im Rausch begangene Tat als solche kann allerdings dem Täter nicht zum Vorwurf gemacht werden. Deshalb dürfen täterbezogene Merkmale, namentlich Motive und Gesinnung, die zur Rauschtat geführt haben, ebenso Verhaltensweisen des Täters, die nur in ihr zum Ausdruck gekommen sind, nicht zu seinem Nachteil berücksichtigt werden (BGH NStZ-RR 1997, 300).
Tatbezogene Merkmale des im Rausch begangenen Delikts, insbesondere dessen Art und Schwere, sind aber einer strafschärfenden Berücksichtigung zugänglich (BGHSt 38, 356 [361]).
III. Pathologischer Rausch
Rz. 58
Es gibt den seltenen Fall, dass der Täter in einen Rauschzustand gerät, ohne dass ihm hieraus ein Vorwurf gemacht werden könnte (LG Bad Kreuznach NZV 1992, 420). I.d.R. ist der Rausch jedoch eher auf eine ausgeprägte alkoholbedingte Enthemmung als auf einen pathologischen Ausnahmezustand zurückzuführen (BGH NJW 1994, 2426).
IV. Mindestfeststellungen
Rz. 59
§ 323a StGB ist zwar ein Auffangtatbestand, seine Anwendung setzt jedoch voraus, dass für den Tatzeitpunkt ein Rausch festgestellt werden kann. Es kann zwar offen bleiben, ob sich der Rausch noch in den Grenzen des § 21 StGB gehalten oder die Grenze zur Schuldunfähigkeit bereits überschritten hatte. Unabdingbare Voraussetzung ist jedoch, dass ein zumindest die Grenze des § 21 StGB überschreitender Rausch festgestellt werden kann (BGH VRS 50, 358; OLG Karlsruhe NZV 2004, 593; OLG Braunschweig NZV 2014, 478).
Rz. 60
Tipp: Hinzuziehung eines Sachverständigen
Der Tatrichter kann aus eigener Sachkunde einen Vollrausch nicht feststellen. Eine solche Feststellung ist vielmehr erst nach Anhörung eines Sachverständigen möglich (OLG Düsseldorf DAR 1999, 80; OLG Braunschweig NZV 2014, 478).
Rz. 61
Achtung: Wahlfeststellung
Eine Wahlfeststellung zwischen § 323a StGB und der im Rausch begangenen Tat ist nicht möglich (BGHSt 9, 390; 2159; OLG Karlsruhe zfs 2004, 581).
Rz. 62
Welche Auswirkungen das haben kann, zeigt der vom OLG Karlsruhe in der vorzitierten Entscheidung behandelte Fall, in dem der Täter mit einem unter 2,00 ‰ liegenden Alkoholwert schlafend im Pkw angetroffen wurde und auch nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die Alkoholfahrt so lange zurücklag, dass zur Tatzeit möglicherweise ein zum Schuldausschluss führender Alkoholwert vorlag. Er konnte deshalb weder wegen Vollrauschs noch wegen einer Trunkenheitsfahrt verurteilt werden, denn eine Verurteilung nach § 323a StGB setzt voraus, dass sich der Täter in einen Rausch versetzt hatte, der den Bereich der erheblich verhinderten Schuldfähigkeit erreicht hatte, während die Verurteilung wegen einer Alkoholfahrt wiederum den sicheren Nachweis erfordert, dass der Täter nicht schuldunfähig war.
Rz. 63
Achtung: Fahrerlaubnis-Entzug trotz Freispruchs
Allerdings ist selbst wenn es deshalb nicht zu einer Verurteilung kommt, der Entzug der Fahrerlaubnis möglich (BayObLG bei Rüth, DAR 1982, 284).
V. Vorsatz
Rz. 64
Tipp: Rechtsschutz
Die Entscheidung der Frage, ob Vorsatz oder nur Fahrlässigkeit vorliegt, ist zunächst deshalb wichtig, weil – das gilt auch für den Vollrausch – im Falle einer rechtskräftigen Vorsatzverurteilung in der Rechtsschutzversicherung kein Deckungsschutz besteht.
Rz. 65
Einen dahingehenden Erfahrungssatz, dass bei Genuss einer solchen Menge von Alkohol, die zu einer hohen (hier mehr als 3 ‰) Blutalkoholkonzentration führt, stets auf vorsätzliche Begehungsweise zu schließen wäre, gibt es generell nicht (OLG Düsseldorf zfs 1999, 170; zfs 2017, 590; OLG Dresden BA 56 [2019],14). Das gilt auch dann, wenn der Täter bereits wegen einer Alkoholfahrt mit weniger als 1,6 ‰ vorbestraft ist (OLG Braunschweig NZV 2014, 478).
Rz. 66
Handelte der Täter nur bezüglich des "sich Berauschens", nicht aber hinsichtlich der Rauschgefährlichkeit vorsätzlich, so liegt nur ein fahrlässiger Vollrausch vor (OLG Oldenburg DAR 2004, 110).
Zur Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit siehe BGH NStZ-RR 2001, 15.
Achtung: Hinweis erforderlich
War im Strafbefehl oder im Eröffnungsbeschluss nur Fahrlässig...