Rz. 86
Spätestens im Vorfeld der Kammerverhandlung ist zu prüfen, inwieweit ein Antrag auf Weiterbeschäftigung sinnvoll erscheint. Dazu zählen fraglos diejenigen Fälle, in denen der Arbeitnehmer vor allem seinen Arbeitsplatz erhalten will. Der Weiterbeschäftigungsantrag kann auch ein Mittel darstellen, um im Rahmen von Abfindungsverhandlungen den Druck auf den Arbeitgeber zu erhöhen. Das setzt voraus, dass der Arbeitnehmer ernstlich gewillt ist, an seinen Arbeitsplatz – zumindest für eine gewisse Zeit – zurückzukehren. Die konsequente Verfolgung und Vollstreckung eines erstinstanzlich ausgeurteilten Weiterbeschäftigungsanspruchs kann zu einem Ansehensverlust des Arbeitgebers bei Teilen der Belegschaft führen, wenn der Eindruck entsteht, dem Arbeitgeber gelinge es trotz aller Bemühungen nicht, das Arbeitsverhältnis zu dem betreffenden Arbeitnehmer zu beenden.
Rz. 87
Der Arbeitgeber besitzt andererseits die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer von sich aus eine befristete Weiterbeschäftigung (sog. "Prozessbeschäftigung") anzubieten, um sein Annahmeverzugslohnrisiko zu mindern (im Einzelnen vgl. § 39 Rdn 52 ff.). Der Arbeitnehmer und sein Vertreter haben dann zu prüfen, welche Reaktionsmöglichkeiten im Hinblick auf ein solches Angebot bestehen und welche Handlungsweise die dem Arbeitnehmer günstigste ist.
Rz. 88
Solange aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis nicht unwesentliche Lohnrückstände bestehen, bietet es sich an, bis zu deren Begleichung von dem Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitskraft Gebrauch zu machen (§ 273 BGB). Das Zurückbehaltungsrecht wegen nicht erfüllter, fälliger Lohnansprüche aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis besteht auch hinsichtlich der Arbeitsleistung im Rahmen einer vom gleichen Arbeitgeber angebotenen weiteren Beschäftigung zu anderen Bedingungen, es handelt sich auch hier um dasselbe Rechtsverhältnis i.S.d. § 273 BGB. Nichts anderes kann für eine angebotene befristete Weiterbeschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzrechtsstreits gelten. Allerdings ist die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts ausgeschlossen, wenn der Lohnrückstand verhältnismäßig geringfügig ist, nur eine kurzfristige Verzögerung eintritt, dem Arbeitgeber ein unverhältnismäßig hoher Schaden entsteht oder der Lohnanspruch auf andere Weise gesichert ist. Zu beachten ist dabei, dass die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts mittels ausdrücklicher Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber erfolgen muss und dass sie nicht zur Unzeit geschehen darf. Soweit die Voraussetzungen für die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nicht vorliegen, kann gemeinsam mit einem nicht rückkehrbereiten Arbeitnehmer geprüft werden, ob die angebotene Prozessbeschäftigung hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen zumutbar ist. Der Grundsatz, dass der Tatbestand böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerbes nur vorliegt, wenn die Unterlassung sich auf eine dem Arbeitnehmer zumutbare Arbeit bezieht (§ 11 Nr. 2 KSchG, § 615 S. 2 BGB), gilt auch im Verhältnis zu dem bisherigen Arbeitgeber.
Rz. 89
Ist der Mandant gewillt (oder nach den Umständen genötigt), die befristete Weiterbeschäftigung bei dem Arbeitgeber aufzunehmen, so ist zu berücksichtigen, dass Arbeitgeber nicht selten in dem befristeten Prozessbeschäftigungsverhältnis den Arbeitnehmer besonders genau kontrollieren und versuchen, arbeitsvertragliche Verstöße nachzuweisen, mit denen sich Abmahnungen und gegebenenfalls auch eine verhaltensbedingte Kündigung begründen lassen. Es sollte also dem Arbeitnehmer geraten werden, besonders darauf zu achten, sich im Rahmen der befristeten Weiterbeschäftigung vertragstreu zu verhalten. Greift der Arbeitgeber zu unerlaubten Mitteln, um dem Arbeitnehmer innerhalb der befristeten Weiterbeschäftigung das Leben schwer zu machen, muss geprüft werden, inwieweit diese Umstände Unzumutbarkeit begründen und damit für den Arbeitnehmer einen Anlass darstellen, seine Tätigkeit in dem befristeten Weiterbeschäftigungsverhältnis zu beenden.