Rz. 14
Ist der Arbeitnehmer schwerbehindert (§ 2 Abs. 1 und 2 SGB IX) oder den schwerbehinderten Menschen gleichgestellt (§ 2 Abs. 3 SGB IX) und besteht sein Arbeitsverhältnis bei dem kündigenden Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung mindestens sechs Monate lang, so genießt er besonderen Kündigungsschutz gem. §§ 168 ff. SGB IX. Außer im Fall offenkundiger Schwerbehinderung bedarf es zur Erlangung des Kündigungsschutzes einer Feststellung des Grads der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 durch das Versorgungsamt (§ 152 SGB IX) oder – im Falle eines vom Versorgungsamt festgestellten GdB von 30 oder 40 – einer zusätzlichen Gleichstellung mit den schwerbehinderten Menschen durch die Agentur für Arbeit (§ 151 Abs. 2, 3 SGB IX). Für den besonderen Kündigungsschutz kommt es nicht darauf an, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung von seiner Schwerbehinderung oder seiner Gleichstellung in Kenntnis gesetzt hat (zu den Mitteilungspflichten nach Erhalt einer Kündigung vgl. Rdn 15 f.). Eine solche Pflicht lässt sich auch nicht aus § 173 Abs. 3 SGB IX herleiten. Besonderen Kündigungsschutz genießen alle Arbeitnehmer, deren Schwerbehinderung oder Gleichstellung vor Zugang der Kündigung festgestellt wurde. Der besondere Kündigungsschutz gem. § 168 SGB IX gilt aber auch dann, wenn das Versorgungsamt auf einen mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung erfolgten Antrag hin die Schwerbehinderteneigenschaft erst nach Zugang der Kündigung (mit Rückwirkung auf einen Zeitpunkt vor Kündigungszugang) feststellt, etwa auf einen Widerspruch des behinderten Menschen in einem Abhilfebescheid oder in einem vor dem Verwaltungsgericht geschlossenen Vergleich. Sonderkündigungsschutz hat grundsätzlich auch, wer auf einen mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung erfolgten Antrag hin von der Agentur für Arbeit nach Zugang der Kündigung (mit Rückwirkung) den schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wird. Die Drei-Wochen-Frist erklärt sich nach den Ausführungen des BAG wie folgt: Nach § 173 Abs. 3 Alt. 1 SGB IX finde der Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen zwar dann keine Anwendung, wenn die Schwerbehinderung im Zeitpunkt der Kündigung nicht nachgewiesen sei. Trotz fehlenden Nachweises bleibe der Sonderkündigungsschutz dagegen dann nach § 173 Abs. 3 Alt. 2 SGB IX bestehen, wenn das Fehlen des Nachweises nicht auf fehlender Mitwirkung des Arbeitnehmers beruhe. Das Fehlen des Nachweises beruhe jedenfalls dann auf fehlender Mitwirkung des Arbeitnehmers, wenn er den Antrag auf Anerkennung oder Gleichstellung nicht mindestens drei Wochen vor der Kündigung gestellt habe. § 173 Abs. 3 Alt. 2 SGB IX, so das BAG, enthalte insoweit die Bestimmung einer Vorfrist. Die Vorschrift des § 173 Abs. 3 SGB IX gelte zudem nicht nur für schwerbehinderte Menschen, sondern auch für ihnen nach § 151 SGB IX gleichgestellte behinderte Menschen. Der vom BAG in einer vereinzelt gebliebenen Entscheidung vertretenen Auffassung, dass der Sonderkündigungsschutz ausnahmsweise bereits vor Antragstellung des Schwerbehinderten beim Versorgungsamt eingreife, wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer den Arbeitgeber vor dem Ausspruch der Kündigung über seine körperlichen Beeinträchtigungen informiert und über die beabsichtigte Antragstellung in Kenntnis gesetzt hat, dürfte damit wohl der Boden entzogen sein. Allerdings wird man in Missbrauchsfällen, wenn z.B. der Arbeitgeber gerade die Mitteilung der Antragstellung zum Anlass für eine Kündigung nimmt, die Unwirksamkeit der Kündigung wegen Maßregelung (§ 612a BGB) festzustellen haben.
Rz. 15
Der Vertreter des Arbeitnehmers muss sicherstellen, dass seinem Mandanten ein – bestehender oder wegen eines laufenden Feststellungsverfahrens möglicher – besonderer Kündigungsschutz erhalten bleibt. Dazu ist erforderlich, zu prüfen, ob der Arbeitgeber von der Schwerbehinderung, der Gleichstellung, dem Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft oder dem Antrag auf Gleichstellung bei Ausspruch der Kündigungserklärung Kenntnis besaß. Hierbei reicht es aus, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber vor Zugang der Kündigung über eine Antragstellung beim Versorgungsamt informiert, denn dadurch ist der Arbeitgeber ausreichend in die Lage versetzt, zumindest vorsorglich die Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt zu beantragen. Weitergehender Informationen durch den Arbeitnehmer bedarf es nicht. Insbesondere ist er nicht verpflichtet, das Datum der Antragstellung mitzuteilen oder seine Schwerbehinderung innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung durch Vorlage des Feststellungsbescheids nachzuweisen. Im Falle des Betriebsübergangs nach § 613a BGB muss sich der Betriebsübernehmer die Kenntnis des Betriebsveräußerers von der Schwerbehinderteneigenschaft eines Arbeitnehmers zurechnen lassen. Bestehen hingegen Zweifel, ob der Arbeitgeber Kenntnis hatte bzw. ob sich die Kenntniserlangung nachweisen lässt, muss der Arbeitg...