Rz. 234
Der wohl wichtigste und für den einzelnen Gläubiger ertragreichste Antrag in der Zwangsvollstreckung stellt § 850c Abs. 6 ZPO, die Nichtberücksichtigung gesetzlich unterhaltsberechtigter Personen, dar. Der Antrag greift primär bei der Pfändung von Arbeitseinkommen, über § 906 ZPO aber auch bei der Kontopfändung und darf in beiden Zusammenhängen nicht vergessen werden. Bei der Kontopfändung bleibt unerheblich, ob es sich bei dem gepfändeten Konto tatsächlich um ein P-Konto handelt, da sich dies regelmäßig erst nachträglich herausstellt. Zum einen läuft der Beschluss über die Nichtberücksichtigung einer gesetzlich unterhaltsberechtigten Person bei der Kontopfändung ins Leere, zum anderen wird es regelmäßig so sein, dass der Schuldner sich spätestens mit der Zustellung der Pfändung veranlasst sieht, sein Konto in ein P-Konto umzuwandeln, soweit dies nach § 850k ZPO möglich ist. Es stellt einen unnötigen bürokratischen Aufwand dar, den Gläubiger in diesen Fällen auf eine weitere nachträgliche Antragstellung zu verweisen. Dies verursacht bei allen Beteiligten nur zusätzlichen Aufwand und im Hinblick auf die weiteren Zustellkosten auch vom Schuldner unnötig zu tragende Kosten.
Tipp
Gerade der nachrangige Gläubiger muss die Möglichkeiten nach § 850c Abs. 6 ZPO in Betracht ziehen, da die Anordnung der Nichtberücksichtigung einer gesetzlich unterhaltsberechtigten Person nur relative Wirkung hat. D.h. der erstrangige Gläubiger erhält den pfändbaren Betrag unter Berücksichtigung aller gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen, während der nachrangige Gläubiger, der einen erfolgreichen Antrag auf Nichtberücksichtigung gestellt hat, den Differenzbetrag zum pfändbaren Betrag ohne die nicht zu berücksichtigende Person erhält. Nur der aufmerksame vorrangige Gläubiger wird dies erkennen, wenn er Monat für Monat die Lohnabrechnung auswertet. Da ihm der Beschluss nicht gesondert zugestellt wird, bleibt er ansonsten ohne diese Information. Die Praxis zeigt, dass wenige vorrangige Gläubiger solche Situationen beobachten.
Beispiel
Der verheiratete Schuldner hat zwei Kinder (T und S) und verdient 2.700 EUR netto. Während seine Ehefrau und Kind T über keine eigenen Einnahmen verfügen, erhält das zweite Kind S eine Ausbildungsvergütung von 800 EUR netto. Der erstrangige Gläubiger G1 hat das Arbeitseinkommen gepfändet, ohne einen Zusatzantrag zu stellen. Der nachrangige Gläubiger G2 stellt dagegen den Antrag auf Nichtberücksichtigung des Kindes S nach § 850c Abs. 6 ZPO, dem auch stattgegeben wird.
Bei drei gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen ist ein Betrag von 54,58 EUR pfändbar. Bei nur zwei gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen sind es 190,38 EUR. Der erstrangige G1 erhält nun also 54,58 EUR, während der nachrangige G2 135,80 EUR (190,38 EUR – 54,58 EUR) erlangen kann.
Hat eine Person, welcher der Schuldner aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt gewährt, eigene Einkünfte, so kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, dass diese Person bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt; soll die Person nur teilweise berücksichtigt werden, so kann entgegen § 850c Abs. 5 ZPO kein Bezug auf die Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung genommen werden. Vielmehr ist der pfändungsfreie Betrag dann betragsmäßig festzusetzen.
Die Antragstellung erfolgt, indem im Antrag nach Anlage 4 der Erlass des Beschlusses wie vorgeschlagen beantragt wird, und im Modul R die Anordnung angekreuzt und das weitere Modul – als Vorschlag – befüllt wird.
Aktuelles Formular:
Die 2. ÄndVO bringt für den Fall der gleichzeitigen Pfändung gegenüber mehreren Schuldnern die Möglichkeit mit sich, den Antrag zu differenzieren und auf den jeweiligen Schuldner zu beziehen. Im aktuellen Formular wäre dies bei den "Gründen" zu notieren, in dem diese auf einen bestimmten Schuldner konzentriert werden.
Neues Formular:
Die gesetzliche Regelung geht noch von dem gesellschaftlich überkommenen Bild aus, dass der Schuldner der Alleinverdiener ist. Insoweit wird nicht berücksichtigt, dass nach der gesellschaftlichen Wirklichkeit Ehegatten ebenso wie Eltern regelmäßig beide arbeiten. Bei Kindern ist zu sehen, dass diese in der Trennungssituation über Unterhaltsansprüche als eigenes Einkommen verfügen sowie in der Ausbildung den Mindestlohn für Auszubildende nach § 17 BBiG erhalten.
Rz. 235
Tipp
Die notwendigen Erkenntnisse muss der Gläubiger sich über Selbstauskünfte des Schuldners oder – gerade in Trennungsfällen – der gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen, über die Vermögensauskunft oder durch Rückgriff auf gesetzliche Regelungen zum Mindestlohn oder Angaben auf der Lohnabrechnung beschaffen.
Rz. 236
Die Nichtberücksichtigung wirkt sich ganz erheblich auf den pfändbaren Betrag aus. Die nachfolgende Tabelle zeigt, wie sich der Pfändungsfreibetrag verändert, wenn eine unterhaltsberechtigte Person (uP) unberücksichtigt bleibt.
Schwellenbetrag |
5 uP |
4 ... |