Dr. Stephan Pauly, Michael Pauly
Rz. 12
Anzuzeigen sind nach dem Wortlaut des Gesetzes "Entlassungen". Nach der früheren Rechtsprechung des BAG war "Entlassung" i.S.d. §§ 17, 18 KSchG nicht schon die Kündigung, sondern die mit ihr beabsichtigte tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Maßgeblich für die Anzeigepflicht war deshalb nicht der Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs, sondern der Zeitpunkt der tatsächlichen Vollziehung der Entlassung. Die Anzeige brauchte also nicht vor Ausspruch der Kündigung zu erfolgen, sondern erst vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der EuGH hat entschieden, dass unter dem Begriff "Entlassung" die Kündigungserklärung des Arbeitgebers zu verstehen ist. Das BAG legt den Begriff "Entlassung" in § 17 KSchG entsprechend richtlinienkonform aus. Damit hat die Anzeige vor der Kündigungserklärung zu erfolgen. Bis zum Bekanntwerden der Entscheidung des EuGH vom 27.1.2005 durften Arbeitgeber nach der Ansicht des BAG auf die ständige Rechtsprechung des BAG und die durchgängige Verwaltungspraxis der Agenturen für Arbeit vertrauen, wonach die Anzeige auch noch nach Erklärung der Kündigung erfolgen konnte. Dem widersprach allerdings das BVerfG.
Rz. 13
Nach § 18 Abs. 1 KSchG werden Entlassungen, die nach § 17 KSchG anzuzeigen sind, vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige nur mit Zustimmung der Agentur für Arbeit wirksam. Bis zum Ablauf der gesetzlichen Frist kann eine vom Arbeitgeber erklärte Kündigung keine Wirkung entfalten. Die Kündigung nach Anzeigenerstattung bleibt aber als Rechtsgeschäft grundsätzlich wirksam; sie beendet das Arbeitsverhältnis, sofern dieses Ende vor dem Ende der Sperrfrist liegen sollte, nur nicht zu dem in der Kündigungserklärung genannten Zeitpunkt. Nach der gesetzlichen Formulierung des § 18 Abs. 1 KSchG kann eine Kündigung schon unmittelbar nach Erstattung (Eingang) der Anzeige bei der Agentur für Arbeit ausgesprochen werden. Die Gesetzesfassung verbietet den Ausspruch der Kündigung vor dem Ablauf der Sperrfrist nicht, auch wenn man unter "Entlassung" im Sinne der Norm die Kündigung versteht. Aus dem Gesetzeswortlaut lässt sich lediglich entnehmen, dass die Entlassung – auch bei ordnungsgemäßer Anzeige – grundsätzlich nicht ohne Einhaltung einer Mindestfrist von einem Monat vollzogen werden kann. Geregelt wird insoweit der Vollzug der Entlassung. Das Wirksamwerden i.S.v. § 18 KSchG bezieht sich damit auf den Eintritt der Rechtsfolgen der Kündigung. Diese treten mit Ablauf der Kündigungsfrist ein. Der Gesetzeswortlaut umschreibt nur einen "Mindestzeitraum", der zwischen der Anzeigenerstattung und der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegen muss.
Rz. 14
Dem steht auch nicht die Massenentlassungsrichtlinie entgegen. Nach Art. 3 Abs. 1 MERL hat der Arbeitgeber der zuständigen Behörde alle beabsichtigten Massenentlassungen schriftlich anzuzeigen. Nach Art. 4 MERL (Entlassungssperre) gelten die der zuständigen Behörde angezeigten beabsichtigten Massenentlassungen frühestens dreißig Tage nach Eingang der in Art. 3 Abs. 1 MERL genannten Anzeige als wirksam; die im Fall der Einzelkündigung für die Kündigungsfrist geltenden Bestimmungen bleiben unberührt. Die Mitgliedstaaten können der zuständigen Behörde jedoch die Möglichkeit einräumen, die Frist des Unterabsatzes 1 zu verkürzen. Nach Art. 4 Abs. 2 MERL muss die Frist des Absatzes 1 von der zuständigen Behörde dazu genutzt werden, nach Lösungen für die durch die beabsichtigten Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme zu suchen. Dementsprechend hat der Europäische Gerichtshof zur Frage des vorlegenden Gerichts, ob der Arbeitgeber Massenentlassungen vornehmen darf, bevor das Anzeigeverfahren nach Art. 3 und 4 MERL beendet ist, ausgeführt: "Nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie besteht der Zweck der Anzeige darin, es der zuständigen Behörde zu ermöglichen, nach Lösungen für die durch die beabsichtigten Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme zu suchen. Weiter muss die zuständige Behörde nach dieser Bestimmung die Frist des Art. 4 Abs. 1 für die Suche nach solchen Lösungen nutzen. Nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie werden die Massenentlassungen, d.h. die Kündigungen der Arbeitsverträge, erst mit dem Ablauf der geltenden Frist wirksam." Nach der Rechtsprechung des EuGH entspricht diese Frist "folglich dem Mindestzeitraum, der der zuständigen Behörde für die Suche nach Lösungen zur Verfügung stehen muss. Da nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie die im Fall der Einzelkündigung für die Kündigungsfrist geltenden Bestimmungen ausdrücklich unberührt bleiben, muss sich diese Bestimmung zwangsläufig auf den Fall bereits ausgesprochener Kündigungen beziehen, die eine solche Frist in Gang setzen".
Rz. 15
Aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs folgt somit, dass die Art. 3 und Art. 4 MERL einer Kündigung von Arbeitsverhältnissen während des durch sie geregelten Verfahrens nicht entgegenstehen, sofern diese Kündigung nach der Anzeige der beabsichtigten Mass...