Rz. 312
Die Kündigung muss für ihre Wirksamkeit dem Arbeitnehmer zugegangen sein. In der Praxis stellt sich häufig die Frage nach dem Zeitpunkt des Zugangs des Kündigungsschreibens.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG und des BGH geht eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden i.S.v. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den "gewöhnlichen Verhältnissen" und den "Gepflogenheiten des Verkehrs" zu beurteilen. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten. Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war. Ihn trifft die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, wird der Zugang durch solche – allein in seiner Person liegenden – Gründe nicht ausgeschlossen. BAG und BGH haben bislang die Annahme einer Verkehrsanschauung, wonach bei Hausbriefkästen im Allgemeinen mit einer Leerung unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten zu rechnen sei, die allerdings stark variieren können, nicht beanstandet. Entgegen der Auffassung des LAG Baden-Württemberg stellen die örtlichen Zeiten der Postzustellung nicht unbeachtliche individuelle Verhältnisse des Empfängers dar. Zu diesen könnte z.B. eine Vereinbarung mit dem Postboten über persönliche Zustellzeiten zählen, konkrete eigene Leerungsgewohnheiten oder auch die krankheits- oder urlaubsbedingte Abwesenheit. Die allgemeinen örtlichen Postzustellungszeiten gehören dagegen nicht zu den individuellen Verhältnissen, sondern sind vielmehr dazu geeignet, die Verkehrsauffassung über die übliche Leerung des Hausbriefkastens zu beeinflussen. Die (örtlich) stark variierenden Postzustellungszeiten können für die Bestimmung der Verkehrsanschauung herangezogen werden.
Rz. 313
Ein eingeschriebener Brief geht erst dann zu, wenn er dem Empfänger oder einer empfangsberechtigten Person ausgehändigt wird. Es reicht also noch nicht aus, wenn der Postbote lediglich einen Benachrichtigungszettel hinterlässt und den Brief auf dem Postamt niederlegt. Der Benachrichtigungszettel ersetzt nicht den Zugang des eingeschriebenen Briefes. Einlieferungs- und Auslieferungsbelegen bei Einwurf-Einschreiben kommt aber eine starke zusätzliche Indizwirkung für den tatsächlich erfolgten Zugang der Sendung zu. Dies kann sich für den Absender als äußerst nachteilig erweisen, wenn es beispielsweise für die Einhaltung der Kündigungsfrist auf den rechtzeitigen Zugang des Kündigungsschreibens ankommt. Entsprechendes gilt für das Übergabe-Einschreiben. Rechtssicherer ist das sog. Einwurf-Einschreiben. In der Praxis bewährt sich die Übermittlung der Kündigung durch einen Boten, der jedoch nicht Partei sein darf, um später den Zugang bezeugen zu können.