Rz. 412
Der Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen gilt gem. §§ 168 ff. SGB IX für Schwerbehinderte und über § 151 Abs. 3 SGB IX diesen i.S.d. § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellte behinderte Menschen. Die Gleichstellung behinderter Menschen mit schwerbehinderten Menschen erfolgt aufgrund einer Feststellung nach §§ 151 Abs. 2, 152 SGB IX auf Antrag des behinderten Menschen durch die Agentur für Arbeit. Die Gleichstellung wird mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam. Sie kann befristet werden. §§ 168 ff. SGB IX gelten nicht für schwerbehinderte Menschen, deren Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ohne Unterbrechung noch nicht länger als sechs Monate besteht (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX). Auf die Wartezeit sowohl nach § 1 Abs. 1 KSchG als auch nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX sind Zeiten eines früheren Arbeitsverhältnisses mit demselben Arbeitgeber anzurechnen, wenn das neue Arbeitsverhältnis in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem früheren Arbeitsverhältnis steht.
Rz. 413
Nach § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung bei allen Maßnahmen, die einen schwerbehinderten Menschen berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung zu beteiligen. Hört der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung entsprechend den für die Beteiligung des Betriebsrats gem. § 102 BetrVG geltenden Grundsätzen an, ist das ausreichend. Insbesondere muss die Schwerbehindertenvertretung nicht zeitlich vor der Anhörung des Betriebsrats oder vor der Antragstellung an das Integrationsamt (einige Integrationsämter haben sich umbenannt in "Inklusionsämter") beteiligt werden.
Rz. 414
Nach § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX ist die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausspricht, unheilbar nichtig. Allerdings hat der Gesetzgeber das Verfahren der Beteiligung nur rudimentär geregelt. Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung bei allen Angelegenheiten, die einen schwerbehinderten Menschen berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten, anzuhören und ihr die getroffene Entscheidung unverzügliche mitzuteilen. Völlig offen ist, zu welchem Zeitpunkt die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zu erfolgen hat, welche inhaltlichen Anforderungen an die Anhörung zu stellen sind und wann das Anhörungsverfahren beendet ist.
Rz. 415
Die Schwerbehindertenvertretung ist vor jeder Beendigungs- oder Änderungskündigung eines schwerbehinderten oder eines mit einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Menschen zu beteiligen. Das gilt auch für Kündigungen in der sechsmonatigen Wartezeit es § 1 KSchG. Es ist nicht erforderlich, dass die Kündigung im Zusammenhang mit der Behinderung steht.
Rz. 416
Die Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung muss nicht zeitlich vor der Anhörung des Betriebsrats und auch nicht vor dem Antrag an das zuständige Integrationsamt erfolgen. Eine irgendwie geartete Abfolge der Beteiligung von Schwerbehindertenvertretung, Betriebsrat und Integrationsamt verlangt das BAG nicht. Entscheidend ist, dass die Schwerbehindertenvertretung vor dem Vollzug der betreffenden Entscheidung ordnungsgemäß angehört worden ist. Die Kündigungsentscheidung wird erst durch den Kündigungsausspruch vollzogen, nicht schon durch die Anhörung des Betriebsrats oder den Antrag an das Integrationsamt (das sind bloße Vorbereitungsmaßnahmen).
Rz. 417
Der ausreichende, aber auch notwendige Inhalt der Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung richtet sich nach den gleichen Grundsätzen wie die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG. Der Unterrichtungsinhalt beschränkt sich insbesondere nicht auf schwerbehindertenspezifische Kündigungsbezüge. Vielmehr sind neben dem Kündigungssachverhalt der Grad der Behinderung des Arbeitnehmers und ggf. die Gleichstellung sowie grds. die weiteren Sozialdaten (Beschäftigungsdauer, Lebensalter, Unterhaltspflichten) mitzuteilen.
Rz. 418
Die Schwerbehindertenvertretung hat die gleichen Stellungnahmefristen wie der Betriebsrat zu beachten (§ 102 Abs. 2 BetrVG analog), d.h. etwaige Bedenken gegen eine beabsichtigte ordentliche Kündigung sind spätestens innerhalb einer Woche und solche gegen eine außerordentliche Kündigung unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen dem Arbeitgeber mitzuteilen. Einer ausdrücklichen Fristsetzung durch den Arbeitgeber bedarf es nicht. Das Anhörungsverfahren ist beendet, wenn die Frist zur Stellungnahme durch die Schwerbehindertenvertretung abgelaufen ist oder eine das Verfahren abschließende Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung vorliegt.
Rz. 419
Nach der Anhörung hat der Arbeitgeber der Schwerbehindertenvertretung die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen (§ 178 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 SGB IX). Verletzt der Arbeitgeber diese Mitteilungspflicht, füh...