Rz. 378
Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, ist mit Zustimmung des Arbeitnehmers das sog. betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM) durchzuführen (§ 167 Abs. 2 SGB IX). Diese Vorschrift gilt für alle Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber klärt mit der zuständigen Interessenvertretung i.S.d. § 176 SGB IX (Betriebsrat), bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, die Möglichkeiten ab, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneute Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Die Beteiligung des Betriebsrats an dem Klärungsprozess nach § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX setzt das Einverständnis des betroffenen Arbeitnehmers voraus. Nach § 167 Abs. 2 S. 3 SGB IX muss der Arbeitgeber den Betroffenen vor Beginn des Verfahrens über die Ziele des bEM belehren sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinweisen. Dieser ist im Rahmen der Unterrichtung nach § 167 Abs. 2 S. 3 SGB IX auch darauf hinzuweisen, dass von der Beteiligung des Betriebsrats abgesehen werden kann.
Rz. 379
Das BAG hat zur Frage, welche Anforderungen an ein ordnungsgemäßes bEM zu stellen sind, wie folgt Stellung genommen. Das Gesetz sieht in § 167 Abs. 2 SGB IX weder konkrete inhaltliche Anforderungen noch bestimmte Verfahrensschritte für das bEM vor. Es benennt lediglich die zu beteiligenden Personen und Stellen und fordert vom Arbeitgeber, mit diesen die Möglichkeiten zu "klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann".
Rz. 380
Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung eines gesetzlich gebotenen bEM zu ergreifen. Kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber eine solche Initiative ergriffen hat, kann davon nur ausgegangen werden, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 167 Abs. 2 S. 3 SGB IX auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat. Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX hinausgeht. Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann. Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann. Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten – als sensible Daten i.S.v. § 3 Abs. 9 BDSG – erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein. Hat der Arbeitgeber die gebotene Initiative nicht ergriffen, muss er zur Darlegung der Verhältnismäßigkeit einer auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützten Kündigung nicht nur die objektive Nutzlosigkeit arbeitsplatzbezogener Maßnahmen i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG aufzeigen. Er muss auch dartun, dass künftige Fehlzeiten ebenso wenig durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger in relevantem Umfang hätten vermieden werden können. Die Inanspruchnahme des Sachverstands eines Betriebsarztes kann der Klärung dienen, ob vom Arbeitsplatz Gefahren für die Gesundheit des Arbeitnehmers ausgehen und künftig durch geeignete Maßnahmen vermieden werden können (§ 3 Abs. 1 S. 2 ASiG). Die Inanspruchnahme des betriebsärztlichen Sachverstands steht einem bEM als ganzem aber nicht gleich. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, ein bEM durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer i.S.v. § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen krank war. Dafür genügt es, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten insgesamt, ggf. in mehreren Abschnitten, mehr als sechs Wochen betragen haben. Nicht erforderlich ist, dass es eine einzelne Krankheitsperiode von durchgängig mehr als sechs Wochen gab. Die Verpflichtung zur Durchführung eines bEM stellt eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Das bEM ist zwar selbst kein milderes Mittel gegenüber einer Kündigung. Mit seiner Hilfe können aber solche milderen Mittel, z.B. die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen – ggf. durch Umsetzungen "freizumachenden" – Arbeitsplatz, erkannt und entwickelt werden.
Wurde entgegen § 167 Abs. 2 SGB IX ein bEM nicht du...