a) Das Problem
Rz. 28
Bedauerlicherweise hat der Gesetzgeber die möglicherweise drängendste Frage, die sich schon nach der h.M. zur früheren Rechtslage aufdrängte, nicht beantwortet: Wie sind Beseitigungsansprüche zu behandeln, wenn zwar niemand von einer baulichen Veränderung beeinträchtigt wird bzw. alle Beeinträchtigten ihr Einverständnis erteilt haben, eine Gestattung durch Beschluss aber nicht eingeholt wurde. Wie ist in diesen Fällen zu verfahren, in denen materiell-rechtlich eine Gestattung verlangt werden kann, das vorgesehene Verfahren hierzu aber nicht eingehalten wurde?
b) Formelle Lösung
Rz. 29
In der Rechtsprechung zum früheren Recht sind klare Tendenzen zu erkennen, auf das Fehlen des Beschlusses abzustellen, der die bauliche Veränderung erst legalisiert. So lassen einige Berufungsgerichte dahinstehen, ob es durch eine bauliche Veränderung zu Beeinträchtigungen anderer Wohnungseigentümer kommt und lassen alleine das Fehlen der Zustimmung durch Beschluss für eine Verurteilung zum Rückbau ausreichen. Dies ist zwar nach der h.M., die die Rechtmäßigkeit alleine aus der Beschlusslage ableitet, konsequent, vernachlässigt aber den Umstand, dass der Urheber der baulichen Veränderung sogar einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf eine entsprechende Beschlussfassung hat. Der (noch) gegebene Rückbauanspruch würde also alsbald entfallen, was jedenfalls nach dem Grundsatz des dolo-agit zu berücksichtigen wäre.
c) Materiell-rechtliche Lösung
Rz. 30
Der BGH lehnte es bislang leider ausdrücklich ab, zu dieser Streitfrage Stellung zu nehmen. In einer Entscheidung ließ er jedoch erkennen, dass er ein nur auf das Fehlen des Beschlusses gestütztes Beseitigungsverlangen wohl für treuwidrig hält, wenn alle beeinträchtigten Wohnungseigentümer der baulichen Veränderung zugestimmt haben. Würde man diese Position über den Einzelfall hinaus verallgemeinern, liefe dies auf einen Vorrang der materiellen Rechtslage hinaus. Damit würde aber dem nunmehr ausdrücklichen Postulat des Gesetzgebers zuwidergehandelt, der die Rechtmäßigkeit der baulichen Veränderung von einer gestattenden Beschlussfassung abhängig macht. Könnte man bei Vorliegen eines Anspruchs auf die Gestattung einer baulichen Veränderung unter Verweis auf die Treuwidrigkeit eines Beseitigungsverlangens oder mit einer ähnlichen Begründung darauf verzichten, einen Beschluss einzuholen, würde die gesetzliche Regelung in diesen Fällen ausgehebelt.
d) Kombinierte Lösung
Rz. 31
Einen gangbaren Ausweg aus dieser Zwickmühle hat der BGH in einem anderen Zusammenhang aufgezeigt, in dem ebenfalls der Widerspruch zwischen noch bestehender Beschlusslage und materieller Rechtslage aufzulösen war. Hierbei ging es um die Vergemeinschaftung von Beseitigungsansprüchen, die angefochten und mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig, aber noch nicht rechtskräftig für ungültig erklärt war. In der Folge hätte die Beseitigungsklage einzelner Wohnungseigentümer im Hinblick auf die noch wirksame Vergemeinschaftung abgewiesen werden müssen, obwohl der entsprechende Beschluss im späteren Anfechtungsverfahren voraussehbar hätte für ungültig erklärt werden müssen. In diesem Zusammenhang ging der BGH davon aus, dass der Prozess wegen der Beseitigung der baulichen Veränderung so lange auszusetzen sei, bis über die Anfechtung der Vergemeinschaftung entschieden sei. Dieser Rechtsgedanke lässt sich auf die vorliegende Konstellation übertragen. Demnach ist dem Urheber der baulichen Veränderung Gelegenheit zu geben, den Beschluss über die Gestattung zu erwirken, ggf. im Verfahren nach § 44 Abs. 1 S. 2 WEG ersetzen zu lassen. Tut er dies nicht binnen angemessener Frist oder bleiben Antrag und Beschlussersetzungsklage erfolglos, ist der andere Prozess fortzusetzen und der Klage auf Beseitigung schon mangels Gestattung der baulichen Veränderung stattzugeben.