Erleichterte Beschlussfassung der GdWE für privilegierte bauliche Veränderungen
Darüber wurde gestritten: Eigentümer wollen barrierefrei umbauen
Fall 1: Einbau eines Aufzugs
Die Kläger sind Mitglieder der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft (nachstehend "GdWE"), deren Anlage aus einem Vorder- und Hinterhaus besteht. Die Wohneinheiten der Kläger liegen im dritten und vierten Obergeschoss des Hinterhauses, wobei ein Personenaufzug nur für das Vorderhaus vorhanden ist. Deshalb beantragten die nicht gehbehinderten Kläger in der Eigentümerversammlung erfolglos,
- die Verwaltung mit der Planung eines allgemein zugänglichen Personenaufzugs für das Hinterhaus zu beauftragen und
- hilfsweise ihnen auf eigene Kosten die Errichtung eines Außenaufzugs am Hinterhaus als Zugang für Menschen mit Behinderungen zu gestatten.
Nachdem die Kläger mit ihrer Klage auf gerichtliche Ersetzung des Beschlusses über die Errichtung des besagten Aufzuges vor dem Amtsgericht ohne Erfolg blieben, entschied das Landgericht, dass auf Verlangen der Kläger beschlossen ist, dass am Hinterhaus auf der zum Innenhof gelegenen Seite ein Personenaufzug zu errichten ist. Die daraufhin eingereichte Revision der beklagten GdWE blieb vor dem Bundesgerichtshof ohne Erfolg. (BGH, Urteil v. 9.2.2024, V ZR 244/22)
Fall 2: Bau einer Rampe für barrierefreien Zugang
Im zweiten Fall gab es – anders als Fall 1 – bereits einen Gestattungsbeschluss. In einer Eigentümerversammlung war auf Antrag einer Wohnungseigentümerin beschlossen worden, dieser eine privilegierte Maßnahme gemäß § 20 Abs. 2 WEG zu gestatten: Demzufolge durfte die Eigentümerin auf der Rückseite des Gebäudes
- eine Rampe als barrierefreien Zugang sowie eine etwa 65 cm aufzuschüttende Terrasse errichten,
- das Doppelfenster im Wohnzimmer durch eine verschließbare Tür ersetzen und
- ggf. einen aus Bodenplatten bestehenden Zugang zur Terrasse errichten.
Gegen diesen Beschluss erhoben andere Eigentümer Anfechtungsklage. Diese blieb vor dem Bundesgerichtshof ohne Erfolg. (BGH, Urteil v. 9.2.2024, V ZR 33/23)
BGH gibt einheitlichen Prüfungsmaßstab vor
In Abkehr von der alten Rechtsprechung, wonach der GdWE die Beschlusskompetenz fehlte, wenn eine bauliche Veränderung nur einzelnen bau- und zahlungswilligen Wohnungseigentümern zur Verfügung stehen sollte und eine solche Veränderung insofern einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer bedurfte, orientiert sich der BGH nunmehr streng an der Systematik des neu gefassten § 20 WEG. Die in § 20 Abs. 1 WEG für alle Fälle baulicher Veränderungen geregelte Beschlusskompetenz hat zur Folge, dass es im Grundsatz nicht darauf ankommt, ob die Wohnungseigentümer die Maßnahme aus eigenem Antrieb beschlossen haben oder in Erfüllung eines Anspruchs gemäß § 20 Abs. 2 oder 3 WEG.
1. Stufe: Voraussetzungen des Anspruchs von § 20 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 WEG
Verlangt ein Wohnungseigentümer eine bauliche Veränderung, wird auf der ersten Prüfungsstufe darüber entschieden, ob dem Eigentümer dem Grunde nach ein Anspruch auf bauliche Veränderung zusteht ("Ob").
Voraussetzung für das Beschließen der baulichen Veränderung dem Grunde nach auf Verlangen eines Eigentümers ist zunächst, dass es sich bei der baulichen Veränderung um eine sogenannte privilegierte Maßnahme gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 4 WEG handelt. Die bauliche Veränderung muss also
- dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen,
- dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge,
- dem Einbruchsschutz oder
- dem Anschluss an ein Telekommunikationsnetz mit sehr hoher Kapazität
dienen.
Zudem müssen nach § 20 Abs. 4 WEG auch die Grenzen einer zulässigen baulichen Veränderung eingehalten werden; die Maßnahme darf also einerseits keine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage bedingen und andererseits keinen Wohnungseigentümer unbillig benachteiligen.
Ob eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage anzunehmen ist, kann nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände entschieden werden. Nach der Intention des Gesetzgebers liegt eine grundlegende Umgestaltung typischerweise nicht vor, wenn eine privilegierte Maßnahme geplant ist. Dann geht der Gesetzgeber nämlich nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip davon aus, dass diese auch angemessen ist und keine grundlegende Umgestaltung bedingt. Somit hat der verlangende Eigentümer lediglich in Ausnahmefällen keinen Anspruch auf bauliche Veränderung; es müssten vielmehr außergewöhnliche Umstände vorliegen, um die Annahme einer grundlegenden Umgestaltung zu rechtfertigten. Auf diese Weise kann die vom Gesetzgeber erstrebte Privilegierung gesamtgesellschaftlicher Interessen ausreichend berücksichtigt werden.
Eine unbillige Benachteiligung hingegen setzt voraus, dass die beabsichtigte Maßnahme bei wertender Betrachtung und in Abwägung mit den mit der baulichen Veränderung verfolgten Vorteilen einem verständigen Wohnungseigentümer in zumutbarer Weise nicht abverlangt werden darf. Dient eine bauliche Veränderung einem der gesetzlich privilegierten Zwecke, bedarf es einer besonders schweren Benachteiligung, wobei wiederum die Wertentscheidungen des Gesetzgebers aus §§ 20, 21 WEG zu berücksichtigen sind.
Die Beschlussfassung
Sind die Voraussetzungen eines Anspruchs gemäß § 20 Abs. 2 WEG erfüllt und werden die Grenzen des § 20 Abs. 4 WEG beachtet, ist die bauliche Veränderung durch die Wohnungseigentümer zu beschließen. Die Beschlussfassung erfolgt aber auch in diesem Fall auf der Grundlage von § 20 Abs. 1 WEG. Denn durch § 20 Abs. 2 und Abs. 3 WEG wird den einzelnen Wohnungseigentümern lediglich ein Anspruch auf Beschlussfassung gewährt, ohne dass eine eigenständige Beschlusskompetenz begründet wird.
Ausnahme bei Unangemessenheit
Der Anspruch eines Wohnungseigentümers auf bauliche Veränderung besteht also regelmäßig, wenn er einem der gesetzlich privilegierten Zwecke dient. Er ist jedoch dann ausgeschlossen, wenn sich die verlangte Maßnahme ausnahmsweise nach den Umständen des konkreten Einzelfalls als unangemessen darstellt. Bei der Prüfung der Angemessenheit ist zu berücksichtigen, dass Nachteile, die typischerweise aufgrund einer privilegierten baulichen Veränderung eintreten, regelmäßig nicht zur Unangemessenheit führen. Erhebliche Nachteile können somit zumeist nur vorliegen, wenn sie
- aus außergewöhnlichen baulichen Gegebenheiten oder aus einem außergewöhnlichen Begehren resultieren oder
- sie sich für die Gesamtheit der Wohnungseigentümer negativ auswirken.
Resultieren die Nachteile jedoch aus der Art und Weise der konkreten Durchführung der baulichen Veränderung und können diese durch Bedingungen und Auflagen beseitigt oder abgemildert werden, führen die Nachteile nicht zu einer Unangemessenheit.
Da der Gesetzgeber von einem intendierten gesamtgesellschaftlichen Interesse an den privilegierten Maßnahmen ausgeht, bleibt eine bauliche Veränderung im Sinne von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG auch dann angemessen, wenn der verlangende Wohnungseigentümer selbst nicht behindert ist. Wäre er jedoch behindert, so müsste die GdWE sogar erhebliche Nachteile hinnehmen.
Der BGH stellt außerdem klar, dass der GdWE die Darlegung eines atypischen Falls obliegt, der zur Unangemessenheit der Maßnahme führt. Erst wenn sie dem nachgekommen ist, hat der den Anspruch geltend machende Wohnungseigentümer nach den Grundsätzen der sekundären Beweislast das Vorbringen der GdWE zu widerlegen.
Die Geltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften
Es reicht für den Anspruch nach § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG aus, wenn die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Vorschriften im Rahmen der Beschlussfassung über das "Wie" der baulichen Veränderung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 WEG geprüft wird; für die Angemessenheitsprüfung ist dies nicht von Belang.
Nur wenn feststeht, dass das Begehren in jedem Fall und bei jeder in Betracht kommenden Ausführung gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, darf der Beschluss gar nicht erst gefasst werden.
2. Stufe: Konkrete Durchführung der baulichen Veränderung
Über die Art und Weise der konkreten Durchführung der baulichen Veränderung einschließlich der Ausführungsgestaltung – also über das "Wie" – können jedoch die Wohnungseigentümer gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 WEG insgesamt entscheiden; der verlangende Wohnungseigentümer hat insofern keinen Anspruch.
Nutzungen und Kosten der baulichen Veränderung gemäß § 21 WEG
Wird einem Wohnungseigentümer eine bauliche Veränderung gestattet oder diese auf sein Verlangen nach § 20 Abs. 2 WEG durch die GdWE durchgeführt, hat er gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 WEG die Kosten allein zu tragen. Gleichzeitig gebührt nur ihm nach § 21 Abs. 1 Satz 2 WEG die ausschließliche Nutzung, sofern ein ausschließlicher Gebrauch des baulich veränderten Gemeinschaftseigentums möglich ist.
Ist dies nicht möglich, so haben regelmäßig allein diejenigen Wohnungseigentümer die Kosten einer baulichen Veränderung zu tragen, die sie beschlossen haben, und nur ihnen gebühren dann nach § 21 Abs. 3 Satz 2 WEG auch die Nutzungen. Das heißt, einzelne Wohnungseigentümer werden von der Nutzung ausgeschlossen, sofern sie sich nicht an den Kosten beteiligen. Eine nachträgliche Möglichkeit sich an den Kosten zu beteiligen und somit Nutzungsrechte zu erwerben ist in § 21 Abs. 4, Abs.3 WEG geregelt.
Praxishinweis
Für einen potenziellen Erwerber einer Wohnung innerhalb einer Wohnungseigentumsgemeinschaft ist es somit nicht mehr auf Anhieb, zum Beispiel durch Prüfung der Teilungserklärung, ersichtlich, ob und welche Nutzungsrechte er an den baulichen Anlagen innerhalb des Gemeinschaftseigentums hat. Dementsprechend müssen Erwerber künftig vor Vertragsschluss genau die Beschlüsse studieren und Verwalterinnen und Verwaltern obliegt diesbezüglich eine noch sorgfältigere Aufbewahrungspflicht.
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