a) Stellungnahme der Gesetzesmaterialien
Rz. 60
Der einzelne Wohnungseigentümer kann nur "angemessene" bauliche Veränderungen verlangen. Dazu, was darunter zu verstehen sein soll, äußern sich die Gesetzesmaterialien nur ein einziges Mal und das nur in zumindest irreführender Weise. Im Zusammenhang mit dem zu weit gehenden Ausschluss der Nutzung von Gemeinschaftseigentum als Stellfläche bei der Ladung von E-Fahrzeugen äußern die Gesetzesmaterialien die Einschätzung, die Herstellung von Lademöglichkeiten sei unangemessen, wenn dem Anspruchsteller nicht das Recht zum Abstellen seines Fahrzeugs in deren Nähe zustünde. Dies dürfte im Hinblick auf die Möglichkeit einer Gebrauchsregelung nach § 19 Abs. 1 WEG von vorneherein zu weit gehen. Selbst wenn man die diesbezügliche Sichtweise der Gesetzesmaterialien teilt, ginge es nicht um eine Frage der Angemessenheit. Die Lademöglichkeit würde dann schon nicht dem in § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WEG vorausgesetzten Zweck dienen. Da das einzige Beispiel zur (fehlenden) Angemessenheit in den Gesetzesmaterialien unrichtig gewählt ist, erlangt man aus ihnen somit keinen Aufschluss darüber, was der Gesetzgeber mit diesem unbestimmten Rechtsbegriff gemeint haben könnte.
b) Sinn der Beschränkung auf "angemessene" Maßnahmen
Rz. 61
Unglücklich ausgefallen ist freilich nur die Begründung des Gesetzes, nicht sein Wortlaut. Er will letztlich sicherstellen, dass nicht nur die in § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–4 WEG privilegierten Interessen, sondern auch diejenigen der Miteigentümer gewahrt werden. Das Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit fordert einerseits eine Anpassung der baulichen Veränderung an die vorgefundenen Verhältnisse, andererseits die Wahl des zur Zweckerreichung mildesten Mittels. Hinsichtlich der liegenschaftsbezogenen Angemessenheit handelt es sich gewissermaßen um die Obergrenze des Durchsetzbaren, wobei das zur grundlegenden Umgestaltung nach § 20 Abs. 4 WEG Gesagte entsprechend gilt: Die geforderte bauliche Veränderung darf nicht außer Verhältnis zur Liegenschaft stehen. Daher kann der betroffene Wohnungseigentümer in einem Zweifamilienhaus u.U. keine bauliche Veränderung verlangen, die in einer großen Wohnanlage noch vertretbar wäre. Zudem muss er sich mit der Einrichtung begnügen, die die Miteigentümer am wenigsten beeinträchtigt. Kann die Barrierefreiheit beispielsweise durch eine Rollstuhlfahrerrampe in Form einer Ergänzung der vorhandenen Treppe hergestellt werden, besteht kein Anspruch auf eine eigene Zufahrt. Zur Angemessenheit einer baulichen Veränderung gehört schließlich die Vereinbarkeit mit sonstigen, insbesondere den öffentlich-rechtlichen Vorschriften namentlich ihre bauordnungsrechtliche Zulässigkeit.
c) Systematische Stellung im Beschlussrecht
Rz. 62
Der Gesetzgeber hat das Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit in § 20 Abs. 2 S. 1 WEG eingeordnet, also in den Zusammenhang, was der Wohnungseigentümer verlangen kann. Dies erscheint nicht unproblematisch. Zwar mag die Angemessenheit bisweilen schon bei der Frage bedeutsam werden, ob eine bauliche Veränderung dem Grunde nach verlangt werden kann. Wird etwa ein Aufzug in einem Zweifamilienhaus verlangt, obwohl ein Treppenlift ausreichend wäre, ist die begehrte bauliche Veränderung schon dem Grunde nach unangemessen. In der Regel wird die Angemessenheit aber wohl erst bei der Frage bedeutsam, wie die bauliche Veränderung durchzuführen ist. Der Sache nach gehört dieses Tatbestandsmerkmal also eher in § 20 Abs. 2 S. 2 WEG. Jedenfalls ist die Angemessenheit dort im Rahmen der Ermessensausübung durch die Wohnungseigentümer ebenfalls zu prüfen, obwohl sie in diesem Zusammenhang nicht mehr ausdrücklich genannt wird.
d) Fehler bei der Einschätzung der Angemessenheit
Rz. 63
Fehler in der Einschätzung der Angemessenheit können sowohl beim "Ob" als auch beim "Wie" der baulichen Veränderung und in beide Richtungen, sowohl zu Lasten des Anspruchstellers als auch zu Lasten einzelner oder aller übrigen Miteigentümer unterlaufen, indem etwa eine ungenügende oder eine zu umfassende bauliche Veränderung beschlossen wird. In jedem Fall führt ein solcher Fehler, da der Eigentümerversammlung eine Beschlusskompetenz zukommt, nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zur Anfechtbarkeit des Beschlusses. Auch dem unzureichenden Beschluss kommt aber anders als dem Negativbeschluss nach Rechtsprechung des BGH Regelungscharakter zu. Wollen sich die anderen Miteigentümer nicht mit einer unangemessen umfangreichen bzw. der Anspruchsinhaber nicht mit einer ungenügenden baulichen Veränderung abfinden, müssen sie den fehlerhaften Beschluss anfechten. Der Inhaber des Anspruchs aus § 20 Abs. 2 S. 1 WEG sollte die Anfechtungs-mit einer Beschlussersetzungsklage nach § 44 Abs. 1 S. 2 WEG verbinden, die nach der Vorbefassung der Eigentümerversammlung bereits zulässig ist. Anderenfalls wäre er nach rechtskräftiger Ungültigerklärung wieder auf die Eigentümerversammlung angewiesen.