I. Systemwechsel
1. Ausgangslage
Rz. 32
Entgegen insbesondere in der Verwalterschaft oftmals vertretener Auffassung konnte eine bauliche Veränderung schon nach früherem Recht mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen beschlossen werden. Es bedurfte hierfür nicht der Zustimmung aller beeinträchtigten Wohnungseigentümer oder gar eines "allstimmigen" Beschlusses. Ein einfacher Mehrheitsbeschluss war wirksam, konnte allerdings von allen durch die bauliche Veränderung beeinträchtigen Wohnungseigentümern angefochten werden. Die Anfechtungsklage eines beeinträchtigten Wohnungseigentümers hatte schon deswegen Erfolg, weil sich die Mehrheit über dessen fehlende Zustimmung hinweggesetzt hatte. Im Ergebnis hatten Anfechtungsklagen der durch die bauliche Veränderung beeinträchtigten Wohnungseigentümer, wenn sie dieser nicht zugestimmt hatten, immer Erfolg.
2. Beschränkung der Anfechtbarkeit auf besondere Beeinträchtigungen
Rz. 33
Dieses frühere System der Anfechtbarkeit von Beschlüssen über bauliche Veränderungen hat der Gesetzgeber radikal umgestaltet. In Zukunft ist die Beschlussfassung über eine bauliche Veränderung nicht mehr alleine deswegen anfechtbar, weil ihr ein hierdurch beeinträchtigter Wohnungseigentümer nicht zugestimmt hat. Die Mehrheit in der Eigentümerversammlung kann sich nunmehr nach dem ausdrücklich bekundeten Willen des Gesetzgebers über seine Belange hinwegsetzen. Anfechtbar ist der Beschluss über eine Gestattung baulicher Veränderungen, abgesehen vom sonstigen Beschlussmängelrecht, nur noch dann, wenn eine der in § 20 Abs. 4 WEG aufgeführten qualifizierten Beeinträchtigungen vorliegt. Im Übrigen wird ein überstimmter Wohnungseigentümer nur durch die in § 21 WEG vorgesehenen Befreiungen von ihren Kosten geschützt.
II. Grenzen der baulichen Veränderung (§ 20 Abs. 4 WEG)
1. Bedeutung der gesetzlichen Verbotstatbestände
Rz. 34
Bauliche Veränderungen hat der Gesetzgeber in § 20 Abs. 4 WEG nur zwei Grenzen gesetzt: Sie darf die Wohnanlage nicht grundlegend umgestalten und keinen Wohnungseigentümer gegenüber anderen unbillig benachteiligen. Die Tatbestände schließen sich nicht aus. Eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage kann zugleich einen Wohnungseigentümer unbillig benachteiligen. Aus der Formulierung, dass diese Veränderungen nicht beschlossen werden "dürfen", geht hervor, dass es sich nicht um eine Schranke der Beschlusskompetenz handelt, wofür der Gesetzgeber "nicht können" verwendet hätte. Es handelt sich mithin um eine Schranke der ordnungsmäßigen Verwaltung. Im Ergebnis wäre auch ein Beschluss über eine bauliche Veränderung, die die Wohnanlage grundlegend umgestaltet oder einen Wohnungseigentümer gegenüber anderen unbillig benachteiligt, nur anfechtbar, erwüchse aber in Bestandskraft.
2. Grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage
a) Kein Rückgriff auf die "Eigenart der Wohnanlage" gemäß § 22 Abs. 2 S. 1 WEG a.F.
Rz. 35
Der neue, unbestimmte Rechtsbegriff der grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage knüpft nicht, wie die Ähnlichkeit der Formulierung und die Übernahme der "unbilligen Beeinträchtigung" aus § 22 Abs. 2 S. 1 WEG a.F. nahelegen könnten, an das dortige Tatbestandsmerkmal einer Änderung der Eigenart der Wohnanlage an. Vielmehr will der Gesetzgeber deutlich über die Eingriffsintensität des § 22 Abs. 2 S. 1 WEG a.F. hinausgehen, die nach einigen Gerichtsentscheidungen – wohl entgegen der seinerzeitigen Intention des Gesetzgebers – sehr schnell erreicht war. Nach Bekunden der Materialien ist daher nicht jede Änderung der Eigenart der Wohnanlage auch eine grundlegende Umgestaltung.
b) Maßstäbe des Gesetzgebers
Rz. 36
Jenseits des Vergleichs mit § 22 Abs. 2 S. 1 WEG a.F. definieren die Gesetzesmaterialien die grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage nur ansatzweise. Als negatives Abgrenzungsmerkmal nennen die Gesetzesmaterialien die privilegierten Maßnahmen nach § 20 Abs. 2 S. 1 WEG, die grundsätzlich keine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage darstellen. Positiv nennt die Gesetzesbegründung als "Bezugspunkt (…) die Anlage als Ganze." Hieraus geht hervor, dass die Gesamtanlage betroffen sein muss. Veränderungen nur in einer Einheit, die sich nicht auf die Gesamtanlage auswirken genügen demnach nicht. Gleiches dürfte für Veränderungen in nur einem Haus einer Mehrhausanlage gelten, die außerhalb dieses Hauses nicht sichtbar ist. Eine Einwirkung auf die bestehenden Baulichkeiten setzt § 20 Abs. 4 WEG allerdings nicht voraus. So kann auch die Umwandlung der Außenanlagen, etwa die durchgreifende Umgestaltung der parkähnlichen Grünflächen auf eine grundlegende Umgestaltung hinauslaufen. Ebenso wenig setzen Wortlaut und Materialien eine bestimmte, etwa sichtbare Beeinträchtigung voraus. Es können auch weniger augenfällige Veränderungen etwa in der Umgestaltung der Haustechnik zu einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage führen.
3. Unbillige Benachteiligung
a) Anknüpfung an § 22 Abs. 2 S. 1 WEG a.F.
Rz. 37
Anders als die grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage knüpft der Gesetzgeber bei der unbilligen Benachteiligung einzelner Wohnungseigentümer bewusst an § 22 Abs. 2 S. 1...