Rz. 151

Nicht nur unter dem Gesichtspunkt der längeren Verjährung, sondern auch als Drohkulisse zur Verbesserung der Vergleichsbereitschaft kann es tunlich sein, bei einer besonders dreisten Selbstbedienung den Bevollmächtigten wegen deliktischer Haftung in Anspruch zu nehmen.

Horn/Schabel[83] weisen zutreffend darauf hin, dass eine unbefugte Abhebung vom Konto des Vollmachtgebers kein Fall des § 823 Abs. 1 BGB darstellt, da keines der darin betroffenen absoluten Rechte betroffen ist.

Generell ist die strafrechtliche Verfolgung von Vermögensdelikten zum Nachteil meist älterer Menschen durch Vollmachtsmissbrauch alles andere als eine Erfolgsstory. Die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen zur wirksamen Bekämpfung fehlen, so dass Mau[84] eine düstere Bilanz zieht:

Zitat

In Berlin werden im Jahr allein auf unserer Dienststelle zw. 50–80 derartige Verfahren geführt, deren Gesamtschäden pro Jahr im zweistelligen Millionenbereich liegen. 2015 lag der durchschnittliche Schaden noch im oberen fünfstelligen Bereich; 2020 war er bereits in den unteren sechsstelligen Bereich gestiegen. In der Hälfte der Fälle wurden die Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt; die Verurteilungsquote ist mit 5 % (3 % davon sind Bewährungsstrafen, der Rest Geldstrafen) der bearbeiteten Fälle zu vernachlässigen; die Sicherung des Taterlangten ebenso. In den restlichen Fällen ist der Verfahrensausgang unbekannt. Die Anzahl solchen Missbrauchs ist nur scheinbar verschwindend gering. Dies liegt in der Natur der Sache selbst begründet. Vorsorgevollmachten dienen dazu, andere, die selbst hierzu nicht mehr imstande sind, rechtswirksam vertreten zu können. Diesen Vertretenen fehlen jedoch genau aus diesem Grund auch die entsprechenden Fähigkeiten, Missbräuche zu erkennen und öffentlich zu machen. Deshalb schlägt sich der Missbrauch nicht in entsprechenden Strafanzeigen nieder und lässt ein sehr hohes Dunkelfeld befürchten. Es käme allerdings niemand auf den Gedanken, staatlichen Handlungsbedarf vom Anzeigeverhalten missbrauchter Kinder abhängig zu machen – Gleiches muss für die hier behandelten Taten bedacht werden! Die Prognose ist düster, die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache und haben eine klare Tendenz: Nach oben! Es wird Zeit, dass dieses Problem nicht mehr verdrängt wird.

Trotz der begrenzten Möglichkeiten sollte in geeigneten Fällen eine strafrechtliche Verfolgung initiiert werden.

 

Rz. 152

Hat der Bevollmächtigte hingegen auftragswidrig Geld vom Konto des Vollmachtgebers auf sein eigenes Konto überwiesen, kommt eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 Abs. 1 StGB in Betracht, und zwar in beiden Varianten (Missbrauch und Verletzung einer Treuepflicht).

 

Fall

Die Bevollmächtigte führte ab dem Jahr 2001 im Büro des Vollmachtgebers,[85] mit dem sie eine private Beziehung unterhielt, stundenweise und unentgeltlich Buchführungsarbeiten. Um bei Verhinderung des Vollmachtgebers verfügen zu können, erhielt sie im Jahr 2003 die Vollmacht für ein Bankkonto, das als Geschäfts- und Privatkonto diente und innerhalb eines bestehenden Kreditlimits ständig im Soll geführt wurde. In der Zeit ihrer Tätigkeit machte sie davon fast nie Gebrauch, so dass die Vollmacht in Vergessenheit geriet, nachdem die private und berufliche Beziehung im Jahr 2007 endete. Die Vollmacht behielt sie jedoch weiter und nutzte sie, indem sie die Kontobewegungen verfolgte und Ende 2008 von dem Bankkonto ca. 17.000 EUR auf ein eigenes Konto überwies, nachdem sie Zahlungseingänge festgestellt hatte, die eine solche Abhebung ermöglichten. Einen Anspruch gegen den Vollmachtgeber, z.B. wegen Vergütung für geleistete Dienste, hatte sie nicht.[86]

 

Rz. 153

Der Umstand, dass mit einer "vergessenen" Vollmacht Schindluder getrieben werden kann, macht diesen Fall für den Bereich der Vorsorgevollmachten interessant. Auch hier ist es ein häufiges Phänomen, dass Vollmachtgeber altersbedingt oft nicht mehr wissen, wem sie wann eine Vollmacht mit welchem Umfang erteilt haben. Außerdem thematisiert das lesenswerte Urteil den Tätertypus des langjährig unentgeltlich tätigen Bevollmächtigten, der meint, sich rückwirkend eine Vergütung zu genehmigen. Schließlich ist dieser Fall exemplarisch für das Desinteresse der Strafjustiz an Vermögensdelikten in engen sozialen Beziehungen, weil die Bevollmächtigte in erster Instanz freigesprochen wurde.[87] Der Beschluss des OLG Koblenz[88] enthält deshalb einige notwendige Klarstellungen:

Zitat

Eine Untreue in Form des Missbrauchstatbestands bleibt möglich, solange eine im Innenverhältnis erloschene Bankvollmacht nach außen fortwirkt. Die Erteilung einer Bankvollmacht begründet regelmäßig eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des Treubruchtatbestands. Das ist vorliegend nicht anders zu beurteilen. Denn mit Erteilung der Bankvollmacht war der Angeklagten die Befugnis übertragen worden, bei Abwesenheit des Kontoinhabers für diesen und in dessen Interesse aufgrund eigener Entscheidungsmacht Verfügungen über sein Vermögen zu tätigen. Entspricht die ...

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