Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
Rz. 951
Unabhängig von jedem Rang ist Unterhalt in Höhe des bestehenden Bedarfs nur dann und soweit geschuldet, wie die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten reicht. Ist er nicht in vollem Umfange leistungsfähig, besteht ein Mangelfall, der zu einer Verminderung des Unterhaltes unterhalb des Unterhaltsbedarfs führt.
Das bedeutet zugleich, dass dem Verpflichteten ein bestimmter Betrag verbleiben muss, sein Eigenbedarf oder Selbstbehalt.
Rz. 952
Der Selbstbehalt ist derjenige Betrag, der dem Verpflichteten gegenüber einem Berechtigten auf jeden Fall als unterste Opfergrenze verbleiben muss. Seine Unterhaltsverpflichtung setzt erst oberhalb solcher Selbstbehaltsgrenzen ein. Bis zur Höhe des Selbstbehaltes benötigt der Verpflichtete die Einkünfte zur Deckung seines eigenen Lebensbedarfs.
Rz. 953
Die Selbstbehaltsgrenzen für den Verpflichteten hat die Rechtsprechung im Rahmen des § 1603 BGB entwickelt. Die Konzeption eines gleitenden (eheangemessenen) Selbstbehalts hatte der BGH zunächst selbst entwickelt, danach aber aufgegeben, um das Unterhaltsrecht zu vereinfachen.
Dem hat das Bundesverfassungsgericht jedoch durch seine Entscheidung vom 25.1.2011 widersprochen. Der Versuch des BGH, die Halbteilung im Wege der Bedarfsbestimmung zu sichern, musste deshalb aufgegeben werden.
Rz. 954
Nunmehr muss wieder zwischen einem sogenannten relativen Mangelfall, bei welchem der Bedarf der Berechtigten des Verpflichteten gekürzt wird und dem absoluten Mangelfall, bei dem nur noch der Unterhalt der Berechtigten gekürzt wird, unterschieden werden.
Rz. 955
Der Selbstbehalt ist allerdings für jedes Unterhaltsrechtsverhältnis selbstständig zu bestimmen und ist gegenüber verschiedenen Unterhaltsgläubigern ggf. auch unterschiedlich hoch.
Absolut ist ein Selbstbehalt, der als unterste Grenze der Inanspruchnahme durch jeden Unterhaltsgläubiger anerkannt ist. Er wird als "notwendiger Selbstbehalt" bezeichnet.
Rz. 956
Die Höhe des jeweiligen Selbstbehaltes bestimmen die Oberlandesgerichte in ihren unterhaltsrechtlichen Leitlinien jeweils unter Nr. 21. Bezogen auf den absoluten Mangelfall hängt die Höhe des Selbstbehalts mit der Rangordnung der Berechtigten nach § 1609 BGB zusammen.
Der Selbstbehalt gegenüber einem nachrangigen Unterhaltsberechtigten kann nur höher oder gleich demjenigen gegenüber dem vorrangigen Unterhaltsberechtigten sein. Der Selbstbehalt spiegelt deshalb das Rangverhältnis wieder.
Dies schließt ein, dass es auch gleichrangige Unterhaltsberechtigte auf der Grundlage unterschiedlicher Unterhaltsansprüche geben kann, z.B. Elternteile, die ein Kind betreuen einerseits und geschiedene Ehegatten bei einer Ehe von langer Dauer andererseits, § 1609 Abs. 2 BGB.
Im Einzelnen gelten die folgenden Selbstbehalte:
Rz. 957
1. Der notwendige Selbstbehalt ist die unterste Grenze der Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen.
Er beträgt 1.160 EUR für erwerbstätige und 960 EUR für nicht erwerbstätige Unterhaltspflichtige und ist maßgebend für die Ansprüche von Minderjährigen und die ihnen nach § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB gleichgestellten volljährigen Kinder gegenüber ihren Eltern. Eine Ausnahme gilt dann, wenn ein anderer leistungsfähiger Unterhaltspflichtiger vorhanden ist. Dann gilt nach § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB der angemessene Selbstbehalt.
Rz. 958
2. Der angemessene Selbstbehalt gilt gegenüber volljährigen Kindern, die sich in der Ausbildung befinden als unterste Opfergrenze für den Verpflichteten. Er beträgt in der Regel 1.400 EUR. Als sogenannter bedingter Selbstbehalt gilt er auch gegenüber Minderjährigen und ihnen nach § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB gleichgestellten Kindern, wenn ein nachrangig haftender leistungsfähiger Unterhaltsverpflichteter vorhanden ist.
Rz. 959
3. Der Ehegattenselbstbehalt gilt gegenüber Ansprüchen von Ehegatten und liegt zwischen dem notwendigen und dem angemessenen Selbstbehalt. Er wird mit 1.280 EUR bemessen. In gleicher Höhe befindet sich der Selbstbehalt gegenüber dem Unterhaltsanspruch der nicht ehelichen Mutter/Vater nach § 1615l BGB. In einigen Leitlinien wird in diesem Zusammenhang vom "eheangemessenen Selbstbehalt" gesprochen. In der Rechtsprechung wird dafür häufig der Begriff "Ehegatten-Selbstbehalt" verwendet.
Aus der Notwendigkeit der Halbteilung des verfügbaren Einkommens ergibt sich jedoch neben dem Ehegattenmindestselbstbehalts die Notwendigkeit der Betrachtung eines individuellen eheangemessenen Selbstbehalts, der die Halbteilung wieder spiegelt. Damit sind beim Ehegattenunterhalt zum einen der auf dem Grundsatz der Halbteilung beruhende individuelle eheangemessene Selbstbehalt und als Untergrenze der allgemein gültige Ehegatten-Mindestselbstbehalt zu unterscheiden.
Rechenbeispiel
Nettoeinkommen M: |
2.400 EUR; |
Unterhalt für den erwerbsunfähigen geschiedenen Ehegatten F: |
|
Bedarf: 2.400 EUR x 45 % Anteil = |
1.080 EUR |
Eheangemessener Bedarf M: 2.400 EUR x 55 % = |
1.320 EUR |
Verbleib für M: 2.400 EUR – 1.080 EUR = |
1.320 EUR, |
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kein Mangelfall |
Abwandlung: Einkommen M |
2.100 ... |