Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
a) Vorrang der Fremdbetreuung
Rz. 570
Nach § 1570 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB verlängert sich unter Berücksichtigung der Belange des Kindes und den bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung der Betreuungsunterhaltsanspruch, solange und soweit dies der Billigkeit entspricht.
Damit wandelt sich der zuvor bestehende Vorrang elterlicher Betreuung in einen Vorrang der Fremdbetreuung. Die Berücksichtigung der Möglichkeiten der Kinderbetreuung bedeutet die Abkehr vom früheren schematisierenden Altersphasenmodell und die Betonung der Einzelfallentscheidung.
Rz. 571
Ob und in welchem Umfang dem betreuenden Elternteil ab Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes eine Erwerbstätigkeit zugemutet werden kann, hängt maßgeblich vom Alter und der Zahl der zu betreuenden Kinder, von der Inanspruchnahme des Sorgeberechtigten durch die Betreuung und der Möglichkeit einer anderweitigen Betreuung ab. Der Wortlaut des § 1570 Abs. 1 S. 2 BGB ("solange und soweit") ermöglicht einen stufenweisen Übergang von der elterlichen Betreuung zu einer vollen Erwerbstätigkeit.
Rz. 572
Der Unterhaltsberechtigte ist allerdings verpflichtet, sich rechtzeitig, auch schon vor Beginn seiner Erwerbspflicht, um eine Arbeitstätigkeit zu bemühen. Versäumt er dies, ist ihm ein fiktives Einkommen in demjenigen Umfang zuzurechnen, das er erzielt hätte, wenn er sich rechtzeitig um Erwerbstätigkeit bemüht hätte.
Rz. 573
In welchem Umfang die Erwerbsfähigkeit des betreuenden Elternteils auch für die Folgezeit noch eingeschränkt ist, kann sich aber nur aus individuellen Umständen ergeben, für die der Unterhaltsberechtigte darlegungs- und beweispflichtig ist.
Vorrangig ist im Einzelfall aber zu prüfen, ob und in welchem Umfang eine Betreuung der Kinder durch Dritte gesichert ist oder gesichert werden könnte.
Dabei sind jedoch an die für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts erforderlichen Darlegungen keine überzogenen Anforderungen zu stellen.
Rz. 574
Auch bei einer anderweitig gesicherten Betreuung kann mit einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit eine überobligationsmäßige Belastung verbunden sein. Die vom Gesetz vorgegebene Billigkeitsabwägung lässt insofern Raum, diesem Gesichtspunkt im Sinne einer gerechten Lastenverteilung Rechnung zu tragen.
Im Rahmen dieser gerechten Lastenverteilung kann auch einbezogen werden, dass außerschulische Aktivitäten mit hohem Zeitaufwand verbunden sein können.
b) Umfang der Erwerbsobliegenheit
Rz. 575
Mit einem Arbeitsumfang von 30 Wochenstunden genügt daher eine Mutter ihrer Erwerbspflicht, wenn sie im ländlichen Raum drei Kinder im Alter zwischen 12 und 17 Jahren betreut und auf keine verlässliche Fremdbetreuung zurückgreifen kann. Dies schließt andererseits nicht aus, dass ggf. die bisherigen Abläufe abweichend zu organisieren sind und mit Rücksicht auf die Erwerbspflichten auch bisherige Aktivitäten eingeschränkt werden müssen.
Rz. 576
Ist eine Ganztagsbetreuung des Kindes sowohl während der Grundschulzeit als auch nach dem Wechsel auf die weiterführende Schule gewährleistet, sind die Erwerbsmöglichkeiten durch die Kindesbetreuung nicht wesentlich eingeschränkt. Dies gilt jedoch nur dann, wenn ein funktionierendes, großzügiges Umgangsrecht den betreuenden Elternteil entlastet.
Regelmäßig wird deshalb auch eine Ganztagsbetreuung eine vollschichtige Erwerbstätigkeit von 40 Stunden pro Woche nicht ermöglichen.
In der Rechtsprechung wird zum Teil jedoch von einer vollschichtigen Erwerbsverpflichtung ausgegangen, wenn es außerfamiliäre Betreuungsmöglichkeiten gibt, die zumutbar in Anspruch genommen werden können.
Rz. 577
Grundsätzlich steht dem vom nicht betreuenden Elternteil zu leistende Barunterhalt dem vom anderen Elternteil zu leistende Betreuungsunterhalt gegenüber. Deshalb sind bei der Beurteilung der Erwerbsobliegenheit nur die das übliche Maß übersteigende Betreuungsleistungen zu berücksichtigen. Diese sind vom betreuenden Elternteil substantiiert darzulegen.
Es ist deshalb konkret vorzutragen, dass z.B. das Kind besonders musisch begabt ist und in dieser Hinsicht mehr als üblich gefördert werden muss oder – umgekehrt – eine über das übliche Maß hinaus gehende Förderung wegen besonderer Lernschwierigkeiten notwendig ist.
Rz. 578
Der verlängerte Unterhaltsanspruch ab Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes stellt gegenüber dem regelmäßigen Basisu...