Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
1. Normzweck und Anspruchsvoraussetzungen
Rz. 681
Leidet ein – früherer – Ehepartner unter einer dauerhaften, nicht nur vorübergehenden Krankheit, erstreckt sich die eheliche Solidarität auf den nachehelichen Zeitraum. Die Verantwortung der früheren Ehegatten füreinander erschöpft sich nicht nur im Ausgleich ehebedingter Nachteile. Allgemein kann vom – früheren – Ehepartner eine nacheheliche Solidarität erwartet werden, die sich gerade im Krankheitsfall verwirklicht.
Rz. 682
Der Unterhaltsanspruch wegen Krankheit besteht deshalb auch dann, wenn die Krankheit ganz unabhängig von der Ehe und ihrer Ausgestaltung durch die Ehegatten eingetreten ist.
Der Anspruch ist nicht nur dann gegeben, wenn eine voreheliche Erkrankung bekannt war oder die Krankheit erst während der Ehezeit ausgebrochen ist. Auch wenn eine voreheliche Erkrankung nicht bekannt war, entfällt die fortwirkende nacheheliche Solidarität nicht. Zu prüfen ist namentlich in solchen Fällen jedoch, ob nicht nach § 1578b BGB eine höhenmäßige Begrenzung und/oder Befristung in Betracht kommt.
Rz. 683
Der Anspruch auf Unterhalt wegen Krankheit nach § 1572 BGB besteht unter drei Voraussetzungen:
▪ |
Vorliegen einer Krankheit, eines anderen Gebrechens oder Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte; |
▪ |
eine angemessene Erwerbstätigkeit ist aus krankheitsbedingten Gründen nicht oder nur teilweise zu erwarten; |
▪ |
einer der im Gesetz genannten Einsatzzeitpunkte ist gegeben. |
2. Krankheit, Gebrechen, körperliche oder geistige Schwäche
Rz. 684
Der Krankheitsbegriff ist weit auszulegen und entspricht den entsprechenden Begriffen im Sozialversicherungs- und Beamtenrecht (§ 1247 Abs. 2 RVO bzw. § 42 Abs. 1 S. 1 BBG).
Krankheit ist danach ein "objektiv fassbarer regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf".
Der Krankheit stehen Gebrechen oder Schwächen der körperlichen oder geistigen Kräfte gleich.
Gebrechen sind von der Regele abweichende körperliche oder geistige Zustände, mit deren Dauer für nicht absehbare Zeit zu rechnen ist, beispielsweise Taubheit, Blindheit, körperliche Behinderungen, aber auch Altersabbau, geringe Intelligenz, Schwachsinn und sonstige, nicht kompensierbare Persönlichkeitsstörungen.
Rz. 685
Auch Suchterkrankungen ohne Verschuldensaspekt, z.B. durch Alkohol, Drogen oder Medikamente fallen hierunter, sofern sie dazu führen, dass der Unterhaltsberechtigte infolge der dadurch hervorgerufenen Willensschwäche keine geregelte Erwerbstätigkeit durchhalten könnte. In gleicher Weise trifft dies für Übergewicht oder Magersucht zu.
Rz. 686
Wegen des weiten Krankheitsbegriffs des § 1572 BGB ist auch eine Depression eine Erkrankung mit der möglichen Folge eines Unterhaltsanspruches nach § 1572 BGB.
In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob die Depression im Zusammenhang mit der Ehe oder als Folge der Trennung und Scheidung entstanden ist. Zu unterscheiden ist aber eine lediglich depressive Verstimmung, die in der Regel vorübergehender Natur ist von der schweren ggf. rezidivierende Depression. Lediglich die letztere Art der Depression ist geeignet, einen Unterhaltsanspruch nach § 1572 BGB zu begründen.
Rz. 687
Unter den Krankheitsbegriff des § 1572 BGB fallen auch Personen, die in Folge einer seelischen Störung, z.B. einer Neurose, erwerbsunfähig sind. In Fällen von Renten- und Unterhaltsneurosen flüchten sich Unterhaltsberechtigte aus Angst, ihren Renten- oder Unterhaltsanspruch zu verlieren, in eine Krankheit. Als Krankheit im Sinne des § 1572 BGB sind solche seelischen Störungen dann anzusehen, wenn sie aus eigener Kraft nicht überwindbar sind.
Rz. 688
Die Erkrankung muss langfristig angelegt sein. Bei kurzfristigen Erkrankungen besteht in der Regel bei Erwerbstätigen ein Anspruch auf Lohnersatzleistungen wie Krankengeld etc. Soweit und solange solche Leistungen gewährt werden, besteht kein Anspruch nach § 1572 BGB. Unfallrenten haben neben dem Entschädigungscharakter auch Lohnersatzfunktion, sodass sich ihre Zahlung bedarfsmindernd auswirkt.
Rz. 689
Die Krankheit des Berechtigten muss ursächlich dafür sein, dass keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden kann. Der ursächliche Zusammenhang bedarf sorgfältiger Prüfung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine medizinische Wahrheit nicht gerechtfertigte Untätigkeit auf Kosten des ehemaligen Ehegatten über einen Unterhaltsanspruch finanziert wird.
Rz. 690
Kann der Berechtigte in Folge von Krankheit seinen ursprünglichen Beruf nicht mehr ausüben, demgegenüber jedoch einen anderen Beruf, der eine angemessene Erwerbstätigkeit darstellt, besteht ein Anspruch aus § 1572 BGB nicht. Zumutbarkeitsmaßstab ist die angemessene Erwerbstätigkeit.
Rz. 691
Hinweis
Unternimmt der Unterhaltsberechtigte allerdings nicht alles Zumutbare, um seine Erkrankung behandeln zu lassen, verliert er den auf § 1572 BGB gestützten Unterhaltsanspruch.
Rz. 692
Er hat ärztliche Anweisungen zu befolgen und ggf. eine D...