Rz. 57
Beispiel:
Deutsche Eheleute sind nach Aufgabe der Zahnarztpraxis durch den Ehemann nach Andalusien übersiedelt und haben dort ein Haus mit Meerblick erworben. Nach einigen Jahren ereilt die Ehefrau ein Schlaganfall. Um dem Überlebenden von ihnen das Weiterleben in der neuen Heimat zu ermöglichen, verfasst der Ehemann eigenhändig ein Testament in spanischer Sprache, mit dem sich die Eheleute gegenseitig zu alleinigen Erben einsetzen und den Kindern aus erster Ehe allein das in Deutschland verbliebene Vermögen zuweisen. Beide Eheleute unterschreiben gemeinsam. Die Schlusserbfolge wird nicht geregelt.
Nach dem plötzlichen Tod des Ehemannes erklärt der Rechtsanwalt des Sohnes, das Testament sei nach dem in Andalusien geltenden gemeinspanischen Recht als testamento mancomunado unwirksam und damit gesetzliche Erbfolge zugunsten seiner Kinder eingetreten.
Rz. 58
Die Vorstellung, dass das Testament den "letzten Willen" des Erblassers enthalten soll, bedingt in vielen Rechtsordnungen, insbesondere auch in den romanischen Rechtsordnungen, dass dieses notwendig frei von jeder Einflussnahme Dritter errichtet und stets frei widerruflich bleiben muss. Daher muss es in diesen Rechtsordnungen zwingend einseitig errichtet werden. Letztlich kennen auch das deutsche, das österreichische und das litauische Recht das gemeinschaftliche Testament grundsätzlich nicht an und beschränken die Errichtung streng auf Ehegatten. Nur wenige Rechte, wie z.B. das dänische, das schwedische und das englische Recht, lassen die gemeinschaftliche Errichtung von Testamenten allgemein zu (so kommen z.B. in Schweden etwa gemeinschaftliche Testamente von Geschwistern praktisch vor).
Rz. 59
Angesichts dieser Situation stellt sich die Frage, ob die gemeinschaftliche Errichtung (bzw. das Verbot gemeinschaftlicher Testamentserrichtung) als Frage der materiellen Wirksamkeit des Testaments zu behandeln ist oder aber als Frage der formellen Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit. Im ersten Fall unterfällt die Zulässigkeit zwingend dem Errichtungsstatut (Art. 24 Abs. 1 EuErbVO), im zweiten Fall käme die alternative Anknüpfung nach dem Haager Testamentsformübereinkommen bzw. in Art. 27 Abs. 1 EuErbVO zum Zuge, mit der Folge, dass z.B. ausländische Eheleute oder solche, bei denen nur einer deutscher Staatsangehöriger ist, im Inland unter Rückgriff auf die deutsche Ortsform bzw. den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gem. § 2267 BGB gemeinschaftlich testieren könnten. Kernpunkt bei der Behandlung von gemeinschaftlichen Testamenten im Internationalen Privatrecht ist also die Qualifikation der Errichtung als Frage der formellen oder der materiellen Wirksamkeit. Diese ist seit langem umstritten.
Rz. 60
Das Verbot der gemeinschaftlichen Errichtung von Testamenten (vgl. dort Art. 968 frz. c.c.) wird in der französischen Rechtsprechung seit jeher als Formvorschrift behandelt. Ehegatten können daher nach der Regel locus regit actum in Deutschland wirksam gemeinschaftlich testieren, und zwar selbst dann, wenn die materielle Wirksamkeit des Testaments französischem Erbstatut unterliegt. Ähnlich sind die Ansichten z.B. in den Niederlanden, in Belgien, Luxemburg, Polen, Rumänien, Slowenien, in Skandinavien und in England. Die wörtliche Übersetzung dieser aus dem französischen Code Civil entnommenen Vorschrift in Art. 589 des italienischen Codice Civile hingegen wird von den italienischen Gerichten als Vorschrift zur materiellen Wirksamkeit der Verfügung behandelt und dem Erbstatut unterstellt. Vergleichbare Ansichten finden sich in Griechenland und in Portugal. In Spanien ist die Situation unklar. Von Lewald wurde die These entwickelt, das Verbot der gemeinschaftlichen Testamentserrichtung sei als Frage der materiellen Wirksamkeit des Testaments zu behandeln (und damit dem Errichtungsstatut zu unterstellen), wenn der Gesetzgeber durch das Verbot der Verbindung von letztwilligen Verfügungen mehrerer in einer einzigen Urkunde klarstellen wollte, dass nur eine streng einseitige und vollständig selbstständige Erklärung als Testament betrachtet werden könne. Bei Ausarbeitung des Haager Testamentsformübereinkommens hat man sich zu keiner Regelung zur Zulässigkeit der gemeinschaftlichen Testamentserrichtung durchringen können. In Art. 4 des Übereinkommens wurde stattdessen allein festgeschrieben, dass sich auch die Formwirksamkeit eines – nach einem wie auch immer bestimmten Recht zulässig errichteten – gemeinschaftlichen Testaments nach den Vorschriften des Abkommens richte.
Rz. 61
Die EuErbVO schweigt ebenfalls zu dieser Frage. Nachdem aber die EuErbVO – anders als das Testamentsformübereinkommen – eine abschließende Regelung des internationalen Erbrechts enthält, muss die Qualifikation dieser Frage im Rahmen der EuErbVO gefunden werden und kann nicht dem nationalen Recht überlassen werden. Daher ist um diese Frage bereits ein Streit entbrannt.
Rz. 62
Art. 3 Abs. 1 lit. c EuErbVO definiert das "gemeinschaftliche Testament" als "ein von zwei oder mehr ...