Errichtung eines Nottestaments am Krankenbett
Die Errichtung eines Nottestaments kommt in der Praxis nicht allzu häufig vor. Dies hat zur Folge, dass die Zahl der Gerichtsentscheidungen, die sich mit den Voraussetzungen der Zulässigkeit eines Nottestaments befassen, eher gering ist. Das KG Berlin hat sich ausführlich mit der Wirksamkeit eines am Krankenbett einer Erblasserin errichteten Nottestaments befasst.
Errichtung eines Nottestaments am Krankenbett
Gegenstand des vom KG Berlin entschiedenen Verfahrens ist der Antrag zweier Nachbarn der Erblasserin auf Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerben ausweisen sollte. Die rund 87 Jahre alte Erblasserin wurde am 15.10.2019 in ein Berliner Klinikum eingeliefert, in dem sie am 5.11.2019 an einem organüberschreitenden Karzinom verstarb. Noch am 29.10.2019 war die Patientin nach Feststellung der Ärzte wach, ansprechbar und orientiert. 5 Tage zuvor, am 24.10.2019 wurde in Anwesenheit der Antragstellerin sowie dreier Zeugen ein „Nottestament“ errichtet, auf welches die Antragsteller ihren Erbscheinantrag stützen.
Vorbereitetes „Testament“ von Erblasserin und 3 Zeugen unterschrieben
Das mit den Worten „Mein letzter Wille“ überschriebene „Nottestament“ war maschinenschriftlich von den Antragstellern vorbereitet und von diesen in gedruckter Form ins Krankenhaus mitgebracht worden. In dem Dokument wurden die Antragsteller zu je 1/2 als alleinige Erben der Erblasserin bestimmt. Darüber hinaus enthielt das Dokument Regelungen zu möglichen Ersatzerben und zur Testamentsvollstreckung. Die Erblasserin las das Dokument vor und unterschrieb es, ebenso die 3 anwesenden Zeugen sowie eine Antragstellerin.
Erteilung eines Erbscheins abgelehnt
Das von den Antragstellern angerufene Nachlassgericht hat die Erteilung eines Erbscheins abgelehnt sowie einer Beschwerde der Antragsteller gegen die ablehnende Entscheidung nicht abgeholfen. Das KG hat die ablehnende Entscheidung des Nachlassgerichts bestätigt.
Regeln über die Errichtung eines Nottestaments maßgeblich
In seiner Entscheidung hat das KG zunächst klargestellt, dass der Regelfall eines ordentlichen Testaments gemäß § 2231 BGB nicht gegeben war, da das Testament von der Erblasserin nicht eigenhändig niedergeschrieben wurde. Das von der Erblasserin auf beiden Seiten mit einer gut lesbaren Unterschrift versehene Dokument sei deshalb daraufhin zu überprüfen, ob es nach den Regeln über die Errichtung eines Nottestaments gemäß § 2250 Abs. 2 BGB als formgültige letztwillige Verfügung ausgelegt werden kann.
Gesetzliche Regelung zum Nottestament
Gemäß § 2250 Abs. 2 BGB kann ein Erblasser ein Testament durch
- mündliche Erklärung
- vor 3 Zeugen errichten, wenn
- die Gefahr eines so kurzfristigen Eintritts des Todes besteht, dass
- weder die Errichtung des Testaments vor einem Notar
- noch zur Niederschrift des Bürgermeisters der Gemeinde gemäß § 2249 BGB möglich ist.
Nach der Rechtsprechung steht eine unmittelbar zu besorgende Testierunfähigkeit des Erblassers der Gefahr eines umgehenden Eintritts des Todes gleich (KG Berlin, Beschluss v. 29.12.2015, 6 W 93/15).
Notlagentestament nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig
Nach Auffassung des KG sind die Voraussetzungen an die Wirksamkeit einer in solchen Fällen als Notlagentestament bezeichneten letztwilligen Verfügung gemäß § 2250 Abs. 2 BGB nicht erfüllt. Die Möglichkeit der Errichtung eines solchen Notlagentestaments habe der Gesetzgeber als besondere Ausnahmevorschrift ausgestaltet, deren gesetzlich normierte Voraussetzungen daher eng auszulegen seien (BGH, Urteil v. 1.6.1970, III ZB 4/70).
Zum Tode führende Erkrankung reicht für akute Todesgefahr nicht aus
Im konkreten Fall sah das KG in der schweren unheilbaren Erkrankung der Erblasserin keine dermaßen akute Todesgefahr verwirklicht, die am Tag der Abfassung die Errichtung eines Nottestaments erfordert hätte. Noch 5 Tage später, am 29.10.2019 sei die Erblasserin nach dem Urteil der Ärzte noch wach und geistig orientiert gewesen. Deshalb sei auch nicht davon auszugehen, dass die 3 Zeugen, die das Dokument unterschrieben hatten, bei Errichtung des Testaments subjektiv davon ausgegangen seien, dass die Gefahr des Todes der Erblasserin oder deren Testierunfähigkeit unmittelbar bevorstünden.
Es darf kein Notar mehr erreichbar sein
Damit war der gesundheitliche Zustand der Erblasserin am Tag der Testamentserrichtung nach der Bewertung des KG nicht so bedrohlich, dass die Errichtung eines Testaments vor einem Notar nicht mehr möglich gewesen wäre. In der Stadt Berlin residieren nach den Feststellungen des LG mehr als 1.000 Notare. Davon sei mit hoher Wahrscheinlichkeit einer erreichbar gewesen, der zur Beurkundung eines Testaments am Krankenbett der Erblasserin bereit gewesen wäre. Die Unerreichbarkeit eines Notars sei nur dann plausibel, wenn ein Nottestament deutlich außerhalb der üblichen Bürozeiten oder der räumlichen Reichweite eines Notars errichtet werden muss. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen.
Bürgermeistertestament hat Vorrang vor 3-Zeugen-Testament
Auch den gesetzlichen Vorrang des Bürgermeistertestaments gemäß § 2249 BGB hatten die Antragsteller nach Auffassung des KG nicht hinreichend beachtet. Entgegen der von ihnen vertretenen Auffassung wäre es nicht erforderlich gewesen, den sicherlich schwer erreichbaren Regierenden Bürgermeister von Berlin zu konsultieren, ausreichend wäre im Fall der Unerreichbarkeit eines Notars die Hinzuziehung eines der in Berlin residierenden diversen Ortsbürgermeister gewesen.
Einhaltung der Formvorschriften beim Nottestament unabdingbar
An diesem Ergebnis ändert es nach Auffassung des KG auch nichts, dass nach dem Gericht vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen von 2 Zeuginnen und auch nach dem Inhalt der vom Nachlassgericht durchgeführten Anhörung die Erblasserin in der Vergangenheit mehrfach geäußert hatte, die Antragsteller als Alleinerben einsetzen zu wollen. Auch der Umstand, dass die Erblasserin das Dokument bei klarem Verstand unterzeichnet habe, führe nicht zur Formgültigkeit eines Nottestaments. Für die Bewertung eines Notlagentestaments sei nicht allein der mutmaßliche oder tatsächliche Wille des Erblassers maßgeblich, vielmehr komme es maßgeblich auf die Einhaltung der nach dem Willen des Gesetzgebers zwingenden Formvorschriften an.
Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückgewiesen
Im Ergebnis lag damit nach Auffassung des KG kein wirksam errichtetes Notlagentestament vor. Der Antrag auf Erteilung eines Erbscheins blieb somit erfolglos.
(KG Berlin, Beschluss v. 22.6.2022, 6 W 7/21)
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