A. Grundsatz: Nichtigkeit eines Vertrages über den Nachlass eines noch Lebenden Dritten
Rz. 1
Nach § 311b Abs. 4 S. 1 BGB ist ein Vertrag über den Nachlass eines noch lebenden Dritten nichtig. Nach S. 2 gilt das Gleiche von einem Vertrag über den Pflichtteil oder ein Vermächtnis aus dem Nachlass eines noch lebenden Dritten. Das Gesetz missbilligt Verträge über den Nachlass, den Anteil am Nachlass oder den Pflichtteil aus dem Nachlass eines noch lebenden Dritten. Es geht davon aus, dass der Abschluss derartiger Geschäfte über das Vermögen eines Lebenden, die in der Erwartung seines Todes geschlossen werden, sittlich verwerflich ist und in den meisten Fällen nur zu leichtsinniger Vermögensverschleuderung und zur Ausbeutung solchen Leichtsinns führt.
Nach der ratio des Gesetzes soll durch die grundgesetzlich garantierte Testierfreiheit (Art. 14 GG) in erster Linie der Erblasser selbst seine Rechtsnachfolge von Todes wegen regeln oder aber in der Form des Erbvertrags – eingeschränkt auch durch gemeinschaftliches Testament – eine andere Person zusammen mit dem Erblasser und nicht ohne ihn.
Rz. 2
Nichtig ist aber nicht nur das Verpflichtungs-, sondern auch das Erfüllungsgeschäft, die Übertragung der Rechtsposition selbst. Zwar bezieht sich § 311b Abs. 4 BGB, wie seine Stellung im Gesetz ergibt, nur auf schuldrechtliche Verträge. Das beruht darauf, dass nach den Grundsätzen des BGB dingliche Verträge über den Nachlass eines Dritten zu dessen Lebzeiten überhaupt undenkbar sind. Rechte am Nachlass erwirbt der Erbe erst mit dem Erbfall (§ 1922 Abs. 1 BGB). Insbesondere ist nach § 2033 Abs. 1 BGB eine Verfügung über den Anteil eines Miterben am Nachlass frühestens mit dem Erbfall möglich.
Rz. 3
Die einzige vom Gesetz zugelassene Verfügung des Erbanwärters über seine Rechtsposition vor dem Erbfall, nämlich der Erbverzicht (§§ 2346 ff. BGB), ist ein Rechtsgeschäft mit dem Erblasser und hat rein negativen Inhalt, besagt also nichts für die Möglichkeit einer Verfügung positiven Inhalts.
Das Erbschaftsvertragsverbot ist keine Spezialität des deutschen Rechts. Ähnliche Verbote finden sich – oftmals sogar ohne entsprechenden Ausnahmetatbestand – auch in zahlreichen ausländischen Rechtsordnungen.
Das Verbot befand sich bis zur Schuldrechtsmodernisierung in der Sache mit gleichem Inhalt bereits in § 312 BGB.
B. Ausnahme vom Verbot des Erbschaftsvertrages
Rz. 4
Eine Ausnahme vom zuvor dargestellten Verbot macht § 311b Abs. 5 S. 1 BGB in Form dieser – traditionell als Erbschaftsverträge bezeichneten – Vereinbarungen, und zwar für Verträge zwischen künftigen gesetzlichen Erben über ihren gesetzlichen Erbteil oder Pflichtteil. Allerdings bedürfen diese ausnahmsweise zulässigen Erbschaftsverträge nach § 311b Abs. 5 S. 2 BGB der notariellen Beurkundung.
Rz. 5
Die Ausnahmeregelung des § 311b Abs. 5 BGB lässt künftige gesetzliche Erben Verträge schließen, die § 311b Abs. 4 BGB eigentlich verbietet, um ihnen vorzeitige Vereinbarungen zur Auseinandersetzung zu ermöglichen. Die Ausnahmevorschrift des § 311b Abs. 5 BGB gestattet aber nur schuldrechtliche Verträge und nicht solche mit erbrechtlich-dinglicher Wirkung. Daher ist beim Vorliegen eines nach § 311b Abs. 5 BGB zulässigen Vertrages über einen Erbanteil beim Erbfall noch die Übertragung des Erbanteils gem. § 2033 Abs. 1 BGB notwendig, aber auch erst zu diesem Zeitpunkt zulässig.
C. Abgrenzung des verbotenen vom zulässigen Erbschaftsvertrag
I. Abgrenzungsproblematik
Rz. 6
Das Verbot des § 311b Abs. 4 BGB einerseits und die Gestattung des § 311b Abs. 5 BGB andererseits werfen zahleiche schwierige Abgrenzungsfragen auf und sorgen damit für erhebliche Rechtsunsicherheit für die Parteien eines Vertrages, der sich im Geltungsbereich der Rechtsnachfolge von Todes wegen nach einem noch lebenden Dritten bewegt.
II. Die Konkretisierung der Verbotsnorm
Rz. 7
Das Verbot des § 311b Abs. 4 BGB richtet sich gegen Verträge "über den Nachlass eines noch lebenden Dritten" (S. 1) oder "über den Pflichtteil oder ein Vermächtnis aus dem Nachlass eines noch lebenden Dritten" (S. 2).
Demgegenüber formuliert § 311b Abs. 5 S. 1 BGB: "Absatz 4 gilt nicht für einen Vertrag, der unter künftigen gesetzlichen Erben über den gesetzlichen Erbteil oder den Pflichtteil eines von ihnen geschlossen wird."
Der erste offenkundige Unterschied: Der erlaubte Erbschaftsvertrag des § 311b Abs. 5 BGB umfasst nicht Vermächtnisse (so auch die Rspr.).
Rz. 8
Grundvoraussetzung ist damit, dass der Vertrag eine künftige erbrechtliche Position nach einem noch lebenden Dritten betrifft. Dies ist bei S. 2 des § 311b Abs. 4 BGB offensichtlich: Erfasst sind Verträge über die künftige Position als Pflichtteilsberechtigter oder Vermächtnisnehmer. Aber auch S. 1 des § 311b Abs. 4 BGB ...