a) Vertragliches oder gesetzliches Rücktrittsrecht
Rz. 205
Dem Erblasser kann entweder ein vertraglich vereinbartes vollständiges oder teilweises Rücktrittsrecht (§ 2293 BGB) oder ein durch Gesetz gewährtes zustehen (§§ 2294 ff. BGB). An dieser Stelle muss dringend darauf hingewiesen werden, dass in den Fällen, in denen aus Kostenersparnisgründen statt eines gemeinschaftlichen Testaments ein Erbvertrag unter Ehegatten errichtet wird, notwendigerweise auch das Rücktrittsrecht für beide Vertragsteile vorbehalten werden sollte, weil diese Möglichkeit beim gemeinschaftlichen Testament ohnehin kraft Gesetzes bestünde (§ 2271 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Erblasser sollten in diesem Punkt bei Wahl eines Erbvertrags nicht schlechter gestellt sein, als wenn sie ein gemeinschaftliches Testament errichtet hätten. Dies kann auch für eingetragene Lebenspartner gelten, weil auch sie nach § 10 Abs. 4 LPartG ein gemeinschaftliches Testament errichten können. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20.7.2017 zum 1.10.2017 sind gleichgeschlechtliche Partner Eheleuten gleichgestellt.
b) Vorbehaltenes Rücktrittsrecht
Rz. 206
Das im Erbvertrag vorbehaltene Rücktrittsrecht bietet dem Erblasser die Möglichkeit, durch einseitige Erklärung vom Vertrag loszukommen. Ob und in welchem Umfang die Rücktrittsmöglichkeit bestehen soll, unterliegt dem Willen der Vertragsparteien und ist notfalls durch Auslegung zu ermitteln, wobei auch auf den Empfängerhorizont abzustellen ist.
Rz. 207
Hinweis
Der Umfang des vorbehaltenen Rücktrittsrechts ist präzise zu formulieren.
c) Gesetzliches Rücktrittsrecht
aa) Rücktritt bei Verfehlungen des Bedachten
Rz. 208
Macht sich der Bedachte einer Verfehlung schuldig, die den Erblasser berechtigt, ihm den Pflichtteil zu entziehen oder – falls der Bedachte nicht zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehört – ihn berechtigen würde, einem Abkömmling den Pflichtteil zu entziehen, so kann der Erblasser vom Erbvertrag zurücktreten (§ 2294 BGB). Die Pflichtteilsentziehungsgründe sind in § 2333 BGB abschließend aufgezählt.
Rz. 209
Nur wenn die Verfehlung nach Vertragserrichtung begangen wurde, entsteht das Rücktrittsrecht. War sie bereits vorher begangen worden, hatte der Erblasser aber keine Kenntnis davon, so kann ein Anfechtungsrecht in Betracht kommen (Irrtum über einen in der Vergangenheit liegenden Umstand, § 2078 Abs. 2 BGB – Selbstanfechtungsrecht des Erblassers gem. § 2281 BGB). Die Beweislast für das Vorliegen der Rücktrittsvoraussetzungen trägt der Erblasser.
bb) Rücktritt bei Wegfall der Gegenverpflichtung
Rz. 210
§ 2295 BGB gewährt dem Erblasser ein Rücktrittsrecht, wenn die Verpflichtung des Vertragspartners auf wiederkehrende Leistungen gegenüber dem Erblasser vor dem Tod des Erblassers aufgehoben wird. Diese Vorschrift zielt auf entgeltliche Erbverträge ab. Seine bereits erbrachten Leistungen kann der Vertragspartner im Falle des Rücktritts nach § 812 Abs. 1 S. 2 BGB zurückverlangen (Nichterreichen des bezweckten Erfolgs).
Die Aufhebung der Gegenverpflichtung muss zumindest einen Beweggrund für den Rücktritt nach § 2295 BGB darstellen. Daran fehlt es, wenn der Erblasser die Aufhebung der Verpflichtung bestreitet.
Rz. 211
Leistet der Vertragspartner schlecht oder kommt er in Verzug, so hat der Erblasser kein Rücktrittsrecht, weil § 323 BGB nicht gilt. Es kommt ein Anfechtungsrecht nach §§ 2281, 2078 Abs. 2 BGB in Betracht (z.B. Irrtum über den künftigen Umstand der Schlechterfüllung).
d) Rücktrittserklärung
aa) Rücktritt zu Lebzeiten beider Vertragspartner
Rz. 212
Die Rücktrittserklärung bedarf der notariellen Beurkundung, § 2296 Abs. 2 BGB. Sie ist gegenüber dem anderen Vertragsteil zu erklären; die Erklärung muss höchstpersönlich abgegeben werden. Hat ein Erblasser den in einem Erbvertrag vorbehaltenen Rücktritt erklärt und notariell beurkunden lassen und hat der Notar die Zustellung des Rücktritts an den als Alleinerben eingesetzten Vertragspartner übernommen, tatsächlich aber nicht zugestellt, wirkt der Erbvertrag fort mit der Folge, dass der vom Erblasser in einem neuen Testament eingesetzte (andere) Alleinerbe nicht erbberechtigt ist.
Rz. 213
Ist der Erbvertrag mit Rechtsgeschäften unter Lebenden in einer Urkunde verbunden (Ehe- bzw. Lebenspartnerschaftsvertrag, Scheidungsvereinbarung, Scheidungsfolgenregelung) und wurde der Rücktritt vorbehalten, so bedarf dieser der Form des § 2296 Abs. 2 S. 2 BGB.
Rz. 214
Ist der andere Vertragsteil geschäftsunfähig und gehört zum Aufgabenkreis eines für ihn bestellten Betreuers die Vermögenssorge, so kann der Rücktritt von einem Erbvertrag auch gegenüber dem Betreuer erklärt werden. Die ganz herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur geht davon aus, dass ein Rücktritt auch im Falle der Geschäftsunfähigkeit des anderen Vertragsteils möglich ist, dann aber gem. § 131 BGB dem gesetzlichen Vertreter des Geschäftsunfähigen zugehen muss, um wirksam zu werden. Ist der zurücktretende Ehegatte zugleich zum Betreuer des anderen Ehegatten bestellt, dürfte wohl ein Vertretungsausschluss bestehen, da die Empfangnahme der Widerrufserklärung nicht als lediglich rechtlich vortei...