a) Anfechtung durch den Erblasser
aa) Allgemeines
Rz. 175
Der Selbstanfechtung von vertraglich bindend gewordenen Verfügungen durch den Erblasser selbst kommt in der Praxis einige Bedeutung zu. Trotz des Beurkundungszwanges und der damit verbundenen Belehrung sind sich Erblasser nicht immer im Klaren über die Reichweite der von ihnen eingegangenen vertraglichen Bindung. Hinzu kommt – und diese Kritik sei erlaubt –, dass auch juristische Berater nicht selten zum Institut des Erbvertrags greifen, obwohl dies nicht unbedingt notwendig wäre. Man denke nur an viele Ehegattenerbverträge, die bei genauerem Hinsehen sinnvollerweise als gemeinschaftliche Testamente hätten beurkundet werden sollen, bei denen man aber aus Kostengründen einen Erbvertrag gewählt hat, der mit einem Ehevertrag verbunden wurde im Hinblick auf die bis 31.7.2013 geltende Vorschrift des § 46 Abs. 3 KostO. Dies wird auch für einen mit einem Erbvertrag verbundenen Lebenspartnerschaftsvertrag gelten (§ 7 LPartG). Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20.7.2017 zum 1.10.2017 sind gleichgeschlechtliche Partner Eheleuten gleichgestellt.
Rz. 176
§ 2281 Abs. 1 BGB gewährt dem Erblasser eine Anfechtungsmöglichkeit, deren Tatbestände grundsätzlich dieselben sind wie bei der Testamentsanfechtung, §§ 2281, 2078, 2079 BGB. Dies ist ein entscheidender Unterschied zum Anfechtungsrecht beim Einzeltestament. Dort kann der Erblasser jederzeit seine Erklärung widerrufen, deshalb hat er selbst kein Anfechtungsrecht; vielmehr kann dies nur Dritten zustehen (§ 2080 BGB). Dies hat andererseits aber auch zur Folge, dass der Erblasser einseitig im Erbvertrag (§ 2299 BGB) getroffene Verfügungen nicht anfechten kann, weil ihm insoweit ebenfalls die Widerrufsmöglichkeit offensteht (§§ 2299 Abs. 2, 2253 ff. BGB).
Rz. 177
Da es beim Erbvertrag verschiedene Vertragstypen gibt, ist eine Einzelbetrachtung erforderlich. So geht das Gesetz im Allgemeinen vom einseitigen Erbvertrag aus (§ 2274 BGB), es kennt jedoch auch die Sonderform des Ehegattenerbvertrags (§§ 2280, 2292 BGB) und sonstige zweiseitige Erbverträge (§ 2298 BGB).
bb) Einseitiger Erbvertrag; Selbstanfechtungsrecht des Erblassers
(1) Vertragliche Verfügungen von Todes wegen
Rz. 178
Mit erbvertraglich bindender Wirkung können nur Erbeinsetzung, Vermächtnis- und Auflagenanordnung sowie Rechtswahl vereinbart werden, § 2278 Abs. 2 BGB. Da nur insoweit eine vertragliche Bindung entstehen kann, kann sich das Selbstanfechtungsrecht des Erblassers auch nur auf solche Anordnungen beziehen. Sind die Regelungen im Erbvertrag zur Frage der Reichweite der Bindung nicht eindeutig, so muss die Frage, ob eine Bindung gewollt ist oder nicht, durch Auslegung ermittelt werden (§§ 133, 157 BGB). Es gibt auch Verfügungen, bezüglich derer der Erblasser sich einen Änderungsvorbehalt in den Vertrag hat aufnehmen lassen; solange von der Abänderungsmöglichkeit kein Gebrauch gemacht wurde, ist die betreffende Verfügung bindend.
Vgl. zum Änderungsvorbehalt Rdn 162 ff.
(2) Anfechtungsgründe
(a) Inhalts- und Erklärungsirrtum
Rz. 179
Bezüglich des Inhalts- und Erklärungsirrtums gelten dieselben Grundsätze wie beim Testamentsanfechtungsrecht, §§ 2281 Abs. 1, 2078 Abs. 1 BGB. Allerdings kann ein Inhaltsirrtum auch insofern bestehen, als sich der Erblasser über die rechtliche Tragweite, vor allem über die Bindungswirkung des Erbvertrags, bei seinem Abschluss nicht im Klaren war.
Rz. 180
Das objektive Moment, das in § 119 Abs. 1 BGB bei der Anfechtung von Willenserklärungen aufgenommen wurde, nämlich die Einschränkung, dass eine Anfechtung ausgeschlossen ist, wenn der Erklärende bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles die Erklärung trotzdem so abgegeben hätte, gilt weder beim Testament noch beim Erbvertrag. Vielmehr ist hier die subjektive Denk- und Anschauungsweise des Erblassers maßgebend.
Rz. 181
Zu der Frage, ob die Vorstellungen des Erblassers positiv sein müssen oder ob auch eine unbewusste Vorstellung ausreicht, hat der BGH in seiner Rechtsprechung folgende Grundsätze entwickelt:
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Allein die Vorstellungen des Erblassers bei Errichtung der letztwilligen Verfügung sind maßgebend, |
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diese Vorstellungen müssen nicht im Testament oder Erbvertrag ihren Niederschlag gefunden haben, |
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als Vorstellungen genügen auch unbewusste, d.h. solche, die der Erblasser zwar nicht wirklich hatte, die er aber als selbstverständlich seiner Verfügung zugrunde gelegt hat, |
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diese Vorstellungen müssen zumindest auch (kausal) mitbestimmend für die Verfügung/den Erbvertrag gewesen sein, |
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zwischen Testamentsanfechtung und Erbvertragsanfechtung wird, was die Vorstellungen des Erblassers betrifft, kein Unterschied gemacht. |
(b) Motivirrtum
Rz. 182
Auch der Motivirrtum berechtigt den Erblasser zur Anfechtung, §§ 2281, 2078 Abs. 2 BGB.
Anfechtungsgründe können sein: Irrtum, Drohung oder Täuschung (§§ 2281 Abs. 1, 2078 B...