aa) Rechtliche Einordnung
Rz. 10
Die Regeln über den gegenseitigen Vertrag i.S.d. §§ 320 ff. BGB finden auf den Erbvertrag keine Anwendung, weil die Verfügung des Erblassers keine schuldrechtliche Verpflichtung darstellt, sondern eine Verfügung von Todes wegen. Der Erbvertrag steht mit der Gegenleistung in einem Entgeltlichkeitszusammenhang. Man spricht von einem "synallagmatischen Vertrag ohne obligatorischen Charakter". Die eingegangene Verpflichtung zur Gegenleistung ist Rechtsgeschäft unter Lebenden, das nicht Bestandteil des Erbvertrags ist.
Rz. 11
Die rechtliche Konstruktion der Verbindung von Erbvertrag und Vereinbarung über die Gegenleistung kann erfolgen als
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gegenseitige Bedingung, |
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Zweckvorgabe i.S.v. § 812 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB, |
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Vereinbarung eines Gesamtrechtsgeschäfts, das bei Teilunwirksamkeit insgesamt unwirksam wird gem. § 139 BGB. |
Rz. 12
Sind im Erbvertrag keine eindeutigen Regeln zu diesem Fragenkreis getroffen, so ist der entsprechende Wille der Vertragsparteien durch Auslegung zu ermitteln. Die Praxis neigt am ehesten zur Anwendung von § 139 BGB.
bb) Rücktrittsrecht des Erblassers vom gegenseitigen Vertrag und vom Erbvertrag
Rz. 13
Ist mit einem Erbvertrag, durch den der Erblasser den Bedachten zum Erben bestimmt, ein gegenseitiger Vertrag unter Lebenden verbunden, in dem der Bedachte sich zum Erbringen von Pflegeleistungen verpflichtet und der Erblasser weitere Verpflichtungen übernimmt, z.B. keine Veräußerung oder Belastung seines Hausgrundstücks zu Lebzeiten, so kann Letzterer wegen unterbliebener Pflegeleistungen gem. § 323 BGB von diesem Vertrag und zugleich nach § 2295 BGB vom Erbvertrag zurücktreten. Ein derartiger Rücktritt kommt erst dann in Betracht, wenn der Erblasser den Bedachten unter Fristsetzung zuvor vergeblich aufgefordert hat, die im Einzelnen zu bezeichnenden Pflegeleistungen zu erbringen.
Rz. 14
Nach § 2295 BGB kann der Erblasser von einer vertragsmäßigen Verfügung zurückzutreten, wenn die Verfügung mit Rücksicht auf eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Bedachten, dem Erblasser für dessen Lebenszeit wiederkehrende Leistungen zu entrichten, insbesondere Unterhalt zu gewähren, getroffen ist und die Verpflichtung vor dem Tod des Erblassers aufgehoben wird. Grundsätzlich finden die Regelungen über gegenseitige Verträge nach §§ 320 ff. BGB, insbesondere über den Rücktritt nach § 323 BGB, auf Erbverträge keine Anwendung, da es am Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen der erbrechtlichen Verfügung und der übernommenen Verpflichtung des Vertragserben fehlt. Es liegt aber dann ein gegenseitiger Vertrag vor, wenn der Erbvertrag nicht nur eine Erbeinsetzung einerseits und die Pflegeverpflichtung des Bedachten andererseits enthält, sondern der Erblasser weiter die Verpflichtung übernommen hat, sein Hausgrundstück nicht zu veräußern und zu belasten. Zu deren Absicherung können die Vertragsparteien bei Verstoß eine Pflicht zur sofortigen unentgeltlichen Übereignung in den Vertrag aufnehmen und diese zugunsten des Bedachten durch eine Vormerkung absichern lassen. Diese Unterlassungspflicht des Erblassers sowie die Pflegepflicht des Bedachten stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis i.S.v. § 323 Abs. 1 BGB. Ist aber mit dem Erbvertrag ein gegenseitiger Vertrag unter Lebenden verbunden, durch den der Bedachte sich dem Erblasser zur Gewährung von Pflege und/oder Unterhalt verpflichtet, so kann der Erblasser beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 323 BGB bzw. des § 275 BGB von diesem Vertrag und zugleich nach § 2295 BGB vom Erbvertrag zurücktreten.