(1) Vertragliche Verfügungen von Todes wegen
Rz. 178
Mit erbvertraglich bindender Wirkung können nur Erbeinsetzung, Vermächtnis- und Auflagenanordnung sowie Rechtswahl vereinbart werden, § 2278 Abs. 2 BGB. Da nur insoweit eine vertragliche Bindung entstehen kann, kann sich das Selbstanfechtungsrecht des Erblassers auch nur auf solche Anordnungen beziehen. Sind die Regelungen im Erbvertrag zur Frage der Reichweite der Bindung nicht eindeutig, so muss die Frage, ob eine Bindung gewollt ist oder nicht, durch Auslegung ermittelt werden (§§ 133, 157 BGB). Es gibt auch Verfügungen, bezüglich derer der Erblasser sich einen Änderungsvorbehalt in den Vertrag hat aufnehmen lassen; solange von der Abänderungsmöglichkeit kein Gebrauch gemacht wurde, ist die betreffende Verfügung bindend.
Vgl. zum Änderungsvorbehalt Rdn 162 ff.
(2) Anfechtungsgründe
(a) Inhalts- und Erklärungsirrtum
Rz. 179
Bezüglich des Inhalts- und Erklärungsirrtums gelten dieselben Grundsätze wie beim Testamentsanfechtungsrecht, §§ 2281 Abs. 1, 2078 Abs. 1 BGB. Allerdings kann ein Inhaltsirrtum auch insofern bestehen, als sich der Erblasser über die rechtliche Tragweite, vor allem über die Bindungswirkung des Erbvertrags, bei seinem Abschluss nicht im Klaren war.
Rz. 180
Das objektive Moment, das in § 119 Abs. 1 BGB bei der Anfechtung von Willenserklärungen aufgenommen wurde, nämlich die Einschränkung, dass eine Anfechtung ausgeschlossen ist, wenn der Erklärende bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles die Erklärung trotzdem so abgegeben hätte, gilt weder beim Testament noch beim Erbvertrag. Vielmehr ist hier die subjektive Denk- und Anschauungsweise des Erblassers maßgebend.
Rz. 181
Zu der Frage, ob die Vorstellungen des Erblassers positiv sein müssen oder ob auch eine unbewusste Vorstellung ausreicht, hat der BGH in seiner Rechtsprechung folgende Grundsätze entwickelt:
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Allein die Vorstellungen des Erblassers bei Errichtung der letztwilligen Verfügung sind maßgebend, |
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diese Vorstellungen müssen nicht im Testament oder Erbvertrag ihren Niederschlag gefunden haben, |
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als Vorstellungen genügen auch unbewusste, d.h. solche, die der Erblasser zwar nicht wirklich hatte, die er aber als selbstverständlich seiner Verfügung zugrunde gelegt hat, |
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diese Vorstellungen müssen zumindest auch (kausal) mitbestimmend für die Verfügung/den Erbvertrag gewesen sein, |
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zwischen Testamentsanfechtung und Erbvertragsanfechtung wird, was die Vorstellungen des Erblassers betrifft, kein Unterschied gemacht. |
(b) Motivirrtum
Rz. 182
Auch der Motivirrtum berechtigt den Erblasser zur Anfechtung, §§ 2281, 2078 Abs. 2 BGB.
Anfechtungsgründe können sein: Irrtum, Drohung oder Täuschung (§§ 2281 Abs. 1, 2078 BGB) oder das Übergehen eines Pflichtteilsberechtigten als vom Gesetz vermuteter Irrtum (§§ 2281 Abs. 1, 2079 BGB). Voraussetzung für eine Anfechtung wegen des Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten ist aber, dass dieser zum Zeitpunkt der Anfechtung noch vorhanden ist, § 2281 Abs. 1 Hs. 2 BGB. Nach § 10 Abs. 6 LPartG ist auch der eingetragene Lebenspartner pflichtteilsberechtigt, so dass auch bei Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft (deutschen Rechts) ein Anfechtungsrecht wegen des Hinzutretens eines Pflichtteilsberechtigten entstehen kann. Auf die einjährige Anfechtungsfrist des § 2283 BGB ab Begründung der Lebenspartnerschaft ist besonders zu achten. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20.7.2017 zum 1.10.2017 sind gleichgeschlechtliche Partner Eheleuten gleichgestellt.
(3) Form und Frist der Anfechtung
Rz. 183
Die Anfechtung muss durch den Erblasser persönlich erklärt werden, § 2282 Abs. 1 BGB; für einen geschäftsunfähigen Erblasser handelt der gesetzliche Vertreter mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, § 2282 Abs. 2 BGB. Die Anfechtungserklärung bedarf der notariellen Beurkundung, § 2282 Abs. 3 BGB, und muss zu Lebzeiten des Vertragspartners diesem gegenüber erklärt werden, § 143 Abs. 2 BGB, nach dem Tod des Vertragspartners gegenüber dem Nachlassgericht, § 2281 Abs. 2 BGB. Die Anfechtungsfrist beträgt ein Jahr, § 2283 Abs. 1 BGB, und beginnt im Falle eines Irrtums mit Kenntnis vom Irrtum, § 2283 Abs. 2 BGB, im Falle der Drohung mit Beendigung der Zwangslage und bei Hinzutreten eines übergangenen Pflichtteilsberechtigten mit der abstrakten Entstehung von dessen Pflichtteilsrecht.
Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter kann mit Genehmigung des Betreuungsgerichts die Anfechtung erklären, § 2282 Abs. 2 BGB.
Rz. 184
Die Jahresfrist zur Anfechtung des Erbvertrags ist eine Ausschlussfrist. Sie kann weder verlängert noch kann gegen ihre Versäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Deshalb muss der Rechtsberater, der wegen einer in Betracht kommenden Anfechtung aufgesucht wird, rasch alle in Betracht ko...