Rz. 10

Die Herausgabepflicht richtet sich gegen jeden, der das Kind widerrechtlich vorenthält. Dies kann der andere Elternteil oder ein beliebiger Dritter sein. Widerrechtlich ist die Vorenthaltung in der Regel, wenn für die Zurückhaltung des Kindes kein rechtfertigender Grund besteht und die Wiedererlangung des Kindes durch den Berechtigten seitens des Herausgabepflichtigen verhindert wird.[16] Ein neutrales oder passives Verhalten ist hierfür allerdings nicht ausreichend.[17] Gleiches gilt für das bloße Gewähren von Unterkunft und Verpflegung. Der Herausgabepflichtige muss vielmehr seine faktische Personensorge dazu nutzen, das Aufenthaltsbestimmungsrecht des berechtigen Elternteils zu unterlaufen.[18] Einwände des pflichtigen Elternteils, wie z.B. das Kind wolle bei ihm bleiben und er respektiere dessen Entscheidung bzw. er habe keinen Einfluss auf die Herausgabe, da eine dritte Person die Rückgabe verweigere, sind als reine Schutzbehauptungen unbeachtlich.[19] Der andere Elternteil ist allerdings nur herausgabepflichtig, wenn dem die Herausgabe begehrenden Elternteil das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht zusteht.[20] Denn ein das Kind dem anderen Elternteil vorenthaltender, mit diesem aber gemeinsam aufenthaltsbestimmungsberechtigter Elternteil handelt nicht widerrechtlich. Ein einseitiges Herausgabeverlangen verstieße nämlich gegen den Grundsatz der gemeinsamen Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Es entstünde eine "widerrechtliche Patt-Situation", die grundsätzlich nur durch eine Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht gelöst werden kann.[21]

 

Rz. 11

Von einer Widerrechtlichkeit der Vorenthaltung ist allerdings dann nicht auszugehen, wenn

das Herausgabeverlangen einen Rechtsmissbrauch darstellt, d.h. zu befürchten ist, dass das Kind durch die Trennung und den Umgebungswechsel einen gesundheitlichen oder seelischen Schaden i.S.d. § 1666 BGB erleiden würde.[22]
die Vorenthaltung durch eine Einwilligung der Eltern überlagert wird, etwa im Fall freiwilliger Erziehungshilfen gemäß §§ 27 ff. SGB VIII,
die Rechtfertigung aus öffentlichem Recht folgt, wie z.B. Heimerziehung nach Inobhutnahme (vgl. dazu § 12 Rdn 107 ff.) oder Maßnahmen nach dem JGG,
eine Verbleibensanordnung gemäß § 1632 Abs. 4 BGB oder § 1682 BGB ergangen ist.
[16] Palandt/Götz, § 1632 Rn 3.
[17] Palandt/Götz, § 1632 Rn 3.
[18] OLG Zweibrücken FamRZ 1983, 297.
[19] OLG Hamm FamRZ 1993, 1479; OLG Zweibrücken FamRZ 1983, 297.
[20] OLG Saarbrücken, Beschl. v. 31.10.2012 – 6 UF 398/12 (n.v.) m.z.w.N.; OLG Nürnberg FamRZ 2000, 369.
[21] OLG Saarbrücken, Beschl. v. 31.10.2012 – 6 UF 398/12 (n.v.) m.w.N.
[22] BayObLG FamRZ 1991, 1080; OLG Brandenburg FamRZ 2007, 1350; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 25.5.2010 – 9 UF 32/10 – m.w.N. (n.v.); Vogel, FPR 1996, 51.

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