Dr. Mario Nöll, Gabriela Hack
Rz. 142
Neben den Kosten des Insolvenzverfahrens gem. § 54 InsO, die unter Rdn 208 ff. ausführlich dargestellt sind, stuft § 55 InsO eine Reihe von weiteren Verbindlichkeiten als sonstige Masseverbindlichkeiten ein.
Die Verbindlichkeiten des § 55 Abs. 1 InsO sind solche, die nach Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter oder anderweit i.R.d. Verwaltung der Insolvenzmasse begründet werden. Masseverbindlichkeiten sind nicht notwendig auf Geldzahlung gerichtet. Sie entstehen z.B. auch dadurch, dass der Insolvenzverwalter Massegegenstände verwertet. Die durch entsprechende Kaufverträge begründeten Eigentumsverschaffungsansprüche sind selbstredend aus der Insolvenzmasse zu erfüllen. Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 1 InsO entstehen ferner i.R.v. Betriebsfortführungen durch den Insolvenzverwalter, indem dieser hierzu notwendige Leistungen Dritter weiter in Anspruch nimmt bzw. neu einkauft.
Rz. 143
§ 55 InsO fördert die Bereitschaft des Rechtsverkehrs, überhaupt mit einem insolventen Rechtssubjekt respektive einem Insolvenzverwalter Verträge abzuschließen bzw. Leistungen an einen solchen zu erbringen. Ohne eine solche Bereitschaft wäre der Handlungsspielraum des Insolvenzverwalters erheblich eingeschränkt, was nicht nur dem Ziel einer bestmöglichen Gläubigerbefriedigung in hohem Maße abträglich wäre, sondern Betriebsfortführungen und Sanierungen insolventer Unternehmen von vornherein unmöglich machen würde.
Rz. 144
§ 55 Abs. 1 InsO ordnet folgende Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten ein:
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nach Nr. 1: die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören; |
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nach Nr. 2: aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss; |
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nach Nr. 3: aus einer ungerechtfertigten Bereicherung der Masse. |
Rz. 145
Bei beiderseits noch nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Verträgen hat der Insolvenzverwalter nach Maßgabe der §§ 103 ff. InsO ein Wahlrecht, ob er den Vertrag – mit Wirkung für und gegen die Insolvenzmasse – weiter fortsetzt oder nicht. Wählt er die Nichterfüllung, können daraus keine Masseverbindlichkeiten entstehen, vgl. § 103 Abs. 2 InsO. Wird der Vertrag fortgesetzt, sind die ab Verfahrenseröffnung begründeten Leistungspflichten aus der Insolvenzmasse zu erfüllen. Zahlungsrückstände aus Dauerschuldverhältnissen, die auf die Zeit vor Eröffnung entfallen, sind – vorbehaltlich § 55 Abs. 2 InsO – keine Masseverbindlichkeiten, sondern Insolvenzforderungen. Gleiches gilt für Verträge, die auf Erbringung teilbarer Leistungen gerichtet sind und für Entgelte, die auf vorinsolvenzlich erbrachte Teilleistungen entfallen, vgl. § 105 InsO.
Rz. 146
Für Miet- und Pachtverträge gelten die besonderen Reglungen der §§ 108–111 InsO. Für Dienst- und Arbeitsverträge, bei denen der Schuldner der Dienstberechtigte ist, gilt § 113 InsO. Bis zum Auslaufen der danach maßgeblichen Sonderkündigungsfristen sind die sich aus den Verträgen ergebenden Verpflichtungen Masseverbindlichkeiten, auch wenn der Insolvenzverwalter unmittelbar nach Verfahrenseröffnung kündigt und die Gegenleistungen gar nicht in Anspruch nimmt.
Rz. 147
Masseverbindlichkeiten entstehen auch durch die Beauftragung externer Dienstleister, z.B. von Steuerberatern, Rechtsanwälten, Immobilienmaklern und anderen Verwertungsunternehmen.
Rz. 148
Ist im Nachlass Wohnungseigentümergemeinschaftsvermögen vorhanden, sind die laufenden Hausgeldansprüche der Wohnungseigentümergemeinschaftsverwaltung für die Zeit ab Verfahrenseröffnung automatisch Masseverbindlichkeiten, da sie als Bewirtschaftungskosten die Verwaltung der Masse betreffen. Gibt der Insolvenzverwalter die Immobilie aus der Masse frei, belasten die nach Freigabe begründeten Hausgeldansprüche die Insolvenzmasse nicht mehr. Hausgeldrückstände aus der Zeit bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind Insolvenzforderungen. Allerdings berechtigen solche gem. § 49 InsO i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG in der Zwangsversteigerung zur abgesonderten Befriedigung am Erlös mit dem durch § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG zugewiesenen Rang. Das Vorrecht erfasst danach allerdings nur die laufenden und die rückständigen Beträge aus dem Jahr der Beschlagnahme und den letzten zwei Jahren. Das Vorrecht einschließlich aller Nebenleistungen ist begrenzt auf Beträge i.H.v. maximal 5 % des Verkehrswertes.
Rz. 149
Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 2 InsO entstehen grundsätzlich nur durch Rechtshandlungen eines "starken" vorläufigen Insolvenzverwalters, d.h. eines solchen, auf den gem. § 22 Abs. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übergegangen ist. Ein schwacher vorläufiger Verwalter kann grundsätzlich nur dann einzelne Masseverbindlichkeiten begründen, wenn das Insolvenzgericht ihm Entsprechendes ausnahmsweise durch eine im Beschlusswege erteilte Einzelermächtigung ausdrücklic...