Rz. 30
Die Anwaltshaftung setzt ein Verschulden des beauftragten Beraters oder eines Erfüllungsgehilfen (hier wird nur das Verschulden des Anwalts selbst behandelt; zur Haftung für Erfüllungsgehilfen vgl. § 1 Rdn 301 f.) voraus (§§ 276 Abs. 1, 278 BGB). Da eine vorsätzliche Verletzung der Pflichten aus dem Mandat in der Praxis kaum eine Rolle spielt, geht es im Allgemeinen darum, ob ein fahrlässiges Verhalten zu bejahen ist. Gem. § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.
I. Sorgfaltsmaßstab
1. Grundsätze
Rz. 31
§ 276 Abs. 2 BGB stellt auf die im Verkehr erforderliche Sorgfalt ab. Die Beurteilung hat somit nach einem objektivierten Maßstab zu erfolgen. Es muss die Sorgfalt beachtet worden sein, die nach den Erfordernissen des Verkehrs in der konkreten Lage erwartet werden durfte. Die persönliche Eigenart des Schuldners, seine individuellen Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen sind nicht von Belang. Vielmehr ist auf die berechtigte Verkehrserwartung an die betreffende Berufsgruppe allgemein abzustellen, also auf das Maß an Fähigkeiten, Umsicht und Sorgfalt, das von den Angehörigen dieses Standes bei Erledigung des entsprechenden Geschäfts typischerweise verlangt werden kann.
Rz. 32
Auch die Beurteilung des Anwaltsverschuldens ist an diesem Maßstab auszurichten; davon geht die höchstrichterliche Rechtsprechung als selbstverständlich aus. Die gebotene objektive Betrachtungsweise erklärt, warum die meisten Entscheidungen sich nur kurz oder gar nicht mit dem Verschulden befassen. Ist die objektiv gebotene Sorgfalt nicht gewahrt, so kann sich der Verpflichtete nur in Ausnahmefällen darauf berufen, nicht schuldhaft gehandelt zu haben; vielmehr spricht eine Pflichtverletzung zunächst für ein Verschulden des Rechtsberaters. Da die Rechtsprechung schon bei der Prüfung der Pflichtverletzung nicht auf den Idealanwalt abstellt, sondern auf den Inhalt des Vertrages und die daraus folgenden berechtigten Erwartungen der rechtsuchenden Person an Fähigkeiten und Sorgfalt des beauftragten Beraters (vgl. Rdn 5 ff.), entstehen auf der Ebene des Verschuldens regelmäßig keine zusätzlichen Fragen, wenn das Mandat in der generell üblichen Weise abgewickelt werden konnte, also keine Besonderheiten auftraten, die bei der Beurteilung der Pflichtwidrigkeit außer Betracht bleiben.
Rz. 33
Wesentliche Umstände für die Beurteilung des Verschuldens können sich aus situationsbezogenen Besonderheiten des Falles ergeben. Die rechtliche Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten als fahrlässig anzusehen ist, muss die konkrete Lage des jeweiligen Falles einbeziehen. Den Schuldner trifft nur dann der Vorwurf der Fahrlässigkeit, wenn er den Haftungstatbestand vorhersehen und vermeiden konnte. Für den Anwalt heißt dies, er hätte in der konkreten Situation erkennen können, dass er pflichtwidrig handelt und dem Auftraggeber daraus möglicherweise ein Vermögensschaden entsteht, und er hätte den eingetretenen Nachteil verhindern können. Diese Beurteilung hat vom Zeitpunkt der konkreten Situation aus, also ex ante, zu erfolgen. Auf die weitere Schadensentwicklung braucht sich die Vorhersehbarkeit dagegen nicht zu erstrecken.
2. Materielles und prozessuales Verschulden
Rz. 34
Gem. § 233 ZPO ist einer Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne Verschulden gehindert war, eine der dort genannten Fristen einzuhalten. Da die Partei sich das Verschulden ihres Anwalts zurechnen lassen muss (§ 85 ZPO), kann die schuldhafte Versäumung der Frist den haftungsauslösenden Umstand bilden. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist inzwischen anerkannt, dass bei Anwendung des § 233 ZPO kein von § 276 Abs. 2 BGB abweichender Maßstab gilt. Gefordert ist lediglich die übliche Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts. Dasselbe gilt für die unverschuldete Versäumung eines Termins nach § 337 Satz 1 ZPO.
II. Situationsbezogene Umstände
1. Einschränkungen der Leistungsfähigkeit
Rz. 35
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH muss ein Rechtsanwalt Vorkehrungen für den Fall treffen, dass er unvorhergesehen ausfällt. Er muss seinem Personal die notwendigen Anweisungen für einen solchen Fall erteilen und für einen Vertreter sorgen, sofern er seinen Beruf als Einzelanwalt ausübt. Vor allem infolge plötzlicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen kann für den Anwalt eine L...