Rz. 8
Da der Anwalt regelmäßig keinen Erfolg, sondern nur eine bestimmte Tätigkeit schuldet und deren Umfang sowie die Art der Ausführung vom Inhalt des Vertrages abhängen, indiziert die Feststellung der Pflichtwidrigkeit die Rechtswidrigkeit des vertraglichen Verhaltens. Beide Begriffe sind zwar nicht gleichzusetzen, weil der Anwalt trotz Verletzung einer dem Mandanten geschuldeten Pflicht nicht rechtswidrig gehandelt hat, wenn ihm ein Rechtfertigungsgrund zur Seite stand. In der Rechtspraxis kommen solche Fälle aber nur äußerst selten vor. Im Regelfall steht also mit der Pflichtverletzung die Rechtswidrigkeit fest. Damit ist jedenfalls für den Bereich des Anwaltsvertrages der Lehre vom sog. Verhaltensunrecht zu folgen.
Rz. 9
Der Rechtsanwalt, der eine objektiv verfehlte Maßnahme trifft, damit jedoch lediglich einer Weisung des Mandanten entspricht, handelt schon nicht pflichtwidrig, wenn er den Auftraggeber zuvor ausreichend über die aus der Weisung drohenden Nachteile belehrt hat. Dies ergibt sich aus dem rein vertragsbezogenen Charakter der geschuldeten Pflichten. Daher scheitert ein Anspruch aus positiver Vertragsverletzung auch dann am Fehlen einer Pflichtverletzung, wenn der Anwalt eine Weisung ausführt, mit der der Mandant selbst ein rechtswidriges Ziel verfolgt, oder wenn der Anwalt mit dem von seinem Auftraggeber verlangten Verhalten gegen standesrechtliche oder öffentlich-rechtliche Bestimmungen verstößt. Weicht der Anwalt vom Auftrag ohne zwingenden Grund ab, billigt der Mandant jedoch nachträglich die getroffene Entscheidung, so hat der Anwalt zunächst pflichtwidrig gehandelt; sein Verhalten ist jedoch infolge der nachträglich erteilten Zustimmung nicht rechtswidrig.
Rz. 10
Der Pflichtenkreis des Anwalts kann bei bestimmten Berufsgruppen erweitert sein. Die Führung einer Fachanwaltsbezeichnung setzt gem. § 43c Abs. 1 Satz 1 BRAO, 2 Abs. 1 FAO voraus, dass der Anwalt besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf dem betreffenden Rechtsgebiet erworben und diese in einem von der FAO im Einzelnen geregelten Verfahren nachgewiesen hat. Erhält er in seinem ausgewiesenen Fachgebiet einen Auftrag, so schuldet er grds. die von einem Rechtsanwalt mit besonderen Fachkenntnissen objektiv zu erwartende Sorgfalt. Dies kann sich in der Weise auswirken, dass von einem solchen Anwalt auch das regelmäßige Studium einer das Spezialgebiet betreffenden Zeitschrift, die entsprechende Nutzung einer juristischen Datenbank und ein größeres präsentes Wissen erwartet werden darf. Auch vom Fachanwalt wird man aber nicht generell erwarten dürfen, dass er das Schrifttum zum Auffinden einschlägiger, auch sehr spezieller Judikatur umfassend auswertet. Eine solche Verpflichtung kann nur im Einzelfall aus der Bedeutung der Sache oder dem Inhalt der getroffenen Vereinbarung entstehen. Wird der Anwalt auf einem "Standardgebiet" beauftragt, stellen sich bei Bearbeitung des Mandats jedoch daneben Probleme aus einem Spezialgebiet – etwa dem Steuerrecht –, so kann der Mandant auch insoweit eine umfassende Bearbeitung erwarten, wenn der beauftragte Rechtsanwalt gerade dort als Fachanwalt besonders ausgewiesen ist.
Rz. 11
Derselbe Maßstab ist anzulegen, soweit der Anwalt als "Spezialist" eines Rechtsgebiets nach außen in Erscheinung getreten ist. Dagegen wird man die Hinweise auf Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkte dem nicht gleichstellen können. Sie deuten nur dann in ausreichendem Maße auf deutlich überdurchschnittliche Kenntnisse und Fähigkeiten hin, wenn ein über diese Angaben hinausgehendes Verhalten des Anwalts eine solche Erwartung des Mandanten rechtfertigt. Andernfalls hat es beim üblichen Sorgfaltsmaßstab zu verbleiben.
Rz. 12
Bei einem im Ausland tätigen Anwalt kann es geboten sein, einen deutlich geringeren Sorgfaltsmaßstab anzulegen. Dies hat der BGH insb. hinsichtlich der Kenntnis des im deutschen Recht geltenden Fristenwesens angenommen. In allen diesen Fällen ist i.Ü. immer zu beachten, dass sich der Sorgfaltsmaßstab nach dem Inhalt des erteilten Mandats und nach den Umständen des jeweiligen Falles richtet.