1. Umfassende Vollmacht des Prokuristen
Rz. 15
Der Umfang der Prokura ist in §§ 49, 50 HGB gesetzlich beschrieben. Gem. § 49 Abs. 1 HGB ermächtigt die Prokura zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt (Ausnahme: Grundstücksgeschäfte i.S.d. § 49 Abs. 2 HGB; s. hierzu unten Rdn 18 ff.). Es muss sich also nicht um branchenübliche Geschäfte handeln. Erfasst werden vielmehr alle Handelsgeschäfte i.S.d. § 343 HGB. Entscheidend ist, dass es sich um ein Geschäft oder eine Rechtshandlung handelt, die der Betrieb irgendeines beliebigen Handelsgewerbes mit sich bringen kann. Der Prokurist darf auch nicht-alltägliche und außergewöhnliche Geschäfte vornehmen. Nach herrschender Meinung darf er sogar die Branche ändern.
Beispiel
Fahrradhändler, der von einer Urlaubsreise heimkehrt, findet seinen Betrieb als Obstgroßhandel wieder.
Hinweis
Da die Prokura nicht auf branchenübliche Geschäfte beschränkt ist, geht sie weiter als die Vertretungsmacht eines Handlungsbevollmächtigten nach § 54 HGB.
a) Von der Prokura gedeckte Geschäfte und Rechtshandlungen
Rz. 16
Der Prokurist kann im Namen seines Geschäftsherrn insb. folgende Geschäfte und Rechtshandlungen vornehmen:
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Einstellung und Kündigung von Personal, |
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Aufnahme von Krediten, |
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Gewährung von Darlehen, |
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Übernahme von Bürgschaften, |
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Vornahme von Schenkungen, |
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Übernahme fremder Verbindlichkeiten, |
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Abgabe von Schuldanerkenntnissen mit Zwangsvollstreckungsunterwerfung (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO), |
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Erteilung von Handlungsvollmachten an andere Angestellten, |
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Errichtung und Schließung von Zweigniederlassungen, |
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Wahrnehmung der Rechte der Handelsgesellschaft ggü. den Gesellschaftern, |
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Erwerb von Unternehmen und Beteiligungen, |
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Ausübung der Mitgliedschaftsrechte aus Beteiligungen, wie Stimmrechte, |
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Geltendmachung von Rechten des Unternehmensinhabers gegen den Veräußerer des Unternehmens, |
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Führung von Prozessen, |
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Erteilung von Prozessvollmachten (gilt auch, wenn die Gesellschaft führungslos ist), |
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Stellung von Strafanträgen in geschäftlichen Angelegenheiten, |
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Entgegennahme von Zustellungen (§ 171 ZPO). |
Hinweis
Anmeldungen zum Handelsregister (§ 12 HGB) darf der Prokurist vornehmen, soweit es sich nicht um ein Grundlagengeschäft des eigenen Handelsgeschäfts handelt (s.a. unten Rdn 17). Gestattet ist ihm aber eine Handelsregisteranmeldung, die er als Prokurist eines Kommanditisten einer KG für diese vornimmt, selbst wenn die Anmeldung die Grundlagen der KG betrifft.
b) Von der Prokura nicht gedeckte Geschäfte und Rechtshandlungen
Rz. 17
Der Prokurist unterliegt zunächst den allgemeinen gesetzlichen Einschränkungen der Stellvertretung. Er darf daher keine höchstpersönlichen Erklärungen des Inhabers des Handelsgeschäfts abgegeben, z.B. kein Testament/Erbvertrag für den Einzelkaufmann errichten (§§ 2064, 2274 BGB).
Die Prokura ermächtigt den Prokuristen nicht zum Selbstkontrahieren (§ 181 BGB). Auch sog. Prinzipalgeschäfte, wie z.B. die Prokuraerteilung (§ 48 Abs. 1 HGB) oder die Unterzeichnung des Jahresabschlusses (§ 245 HGB), sind ihm untersagt. Gleiches gilt für sog. Grundlagengeschäfte, auf deren Existenz, Rechtsform und rechtliche Ausgestaltung der Betrieb des Handelsgewerbes als solcher aufbaut, wie z.B. Einstellung des Geschäftsbetriebs, Veräußerung des Unternehmens, Änderung der Firma, Aufnahme weiterer Gesellschafter, Kündigung oder Ausschluss von Gesellschaftern, Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Für die Grundlagengeschäfte kann der Prokurist auch keine Anmeldungen zum Handelsregister vornehmen. Dies gilt z.B. für die Anmeldung des Ausscheidens eines Geschäftsführers einer GmbH zum Handelsregister. Die dem Prokuristen gesetzlich eingeräumte rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht reicht ebenfalls nicht für die Anmeldung der Änderung der inländischen Geschäftsanschrift bei der Gesellschaft, für die die Prokura erteilt ist, aus.
Davon zu unterscheiden ist die Anmeldung aufgrund besonderer Bevollmächtigung. Eine Handelsregisteranmeldung durch den Prokuristen, die Grundlagengeschäfte seines Geschäftsherrn betrifft, ist aufgrund einer solchen besonderen Bevollmächtigung nach § 12 Abs. 1 Satz 3 HGB (öffentlich beglaubigte Form) möglich.
Ausgeschlossen ist weiterhin eine Vertretung der Gesellschaft durch den Prokuristen in einem Prozess gegen den einzigen Gesellschafter. Die Prokura erstreckt sich – trotz der Vermutung des § 344 Abs. 1 HGB – auch nicht auf das Privatvermögen des Kaufmanns.