Rz. 176
Sofern es um Ansprüche geht, die Verkehrsteilnehmer erheben, die weder Fahrer noch Halter eines Kraftfahrzeugs (= Dritte i.S.d. § 17 Abs. 1 StVG) sind, richtet sich die vorzunehmende Abwägung nach den § 9 StVG, § 254 BGB. § 17 Abs. 1 StVG findet seinem Wortlaut nach keine Anwendung. Dies gilt unabhängig davon, ob der Anspruch gegen Kraftfahrzeughalter/-führer oder andere Verkehrsteilnehmer geltend gemacht wird.
Rz. 177
Zu prüfen ist in diesen Fällen, ob den Anspruchsteller ein Mitverschulden i.S.d. § 254 BGB trifft. Wird gegenüber dem Anspruchsgegner ein Anspruch aus dem StVG, d.h. ein Anspruch gegen den Halter aus § 7 StVG oder gegen den Fahrer aus § 18 StVG, wegen der Beschädigung einer Sache geltend gemacht, ist nach § 9 StVG neben einem (direkten) Mitverschulden des Verletzten auch ein Mitverschulden desjenigen zu berücksichtigen, der die tatsächliche Gewalt über die Sache ausgeübt hat. § 9 StVG erweitert folglich die auf einem Mitverschulden begründete Haftung im Fall von Sachschäden im Bereich des StVG.
Rz. 178
Ein Mitverschulden bei der Entstehung des Schadens richtet sich nach § 254 Abs. 1 BGB. Diese Norm begründet eine Obliegenheit des Geschädigten, die gebotene Sorgfalt anzuwenden, um die Entstehung eines eigenen Schadens zu vermeiden. Maßgeblich ist auch hier in erster Linie der jeweilige Verursachungsbeitrag. Erst in zweiter Linie ist auf ein Verschulden im technischen Sinne abzustellen. Dogmatische Rechtsgrundlage ist der Gedanke, dass zwar die Rechtsordnung eine Selbstgefährdung bzw. Selbstschädigung grundsätzlich nicht verbietet, von jedem Teilnehmer am Rechtsverkehr jedoch erwartet werden kann, dass jeder Geschädigte diejenige Sorgfalt beachtet, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt.
Rz. 179
In der Rechtsprechung ist ferner anerkannt, dass zu Lasten des Fahrzeug- oder Tierhalters die von seiner Sache ausgehende Gefahr im Rahmen der § 9 StVG, § 254 BGB zu berücksichtigen ist. Diese Normen gewähren mithin eine umfassende Haftungsabwägung, bei der alle Umstände zu berücksichtigen sind, die zur Entstehung des Schadens beigetragen haben. Dies ist insbesondere bei den Unfällen von Bedeutung, bei denen ein Kraftfahrzeug mit einem Tier kollidiert, von dem auch eine bestimmte "Tiergefahr" ausgeht, die unabhängig von einem etwaigen Verschulden des Tierhalters zu berücksichtigen ist. Bei der Bildung der Haftungsquote sind demgegenüber auch die Betriebsgefahr des beteiligten Kraftfahrzeuges zu Lasten des Halters und ein etwaiges Verschulden des Fahrzeugführers zu berücksichtigen, wenn sich beides unfallursächlich ausgewirkt hat. Die Beweislast für ein Verschulden des Fahrzeugführers als weiteren Abwägungsfaktor trägt wiederum der Dritte.
Rz. 180
Eine Besonderheit greift allerdings ein, wenn der vom Halter verschiedene Fahrzeugführer gegenüber dem Dritten einen eigenen Schadensersatzanspruch geltend macht: Der Fahrzeugführer muss sich in diesem Fall nicht die Betriebsgefahr des fremden Kraftfahrzeuges zurechnen lassen. Als Abwägungsfaktor zu seinen Lasten kann daher nur ein eigenes Verschulden (§ 823 BGB oder § 18 StVG) berücksichtigt werden.
Rz. 181
Muster 4.64: Keine Zurechnung der Betriebsgefahr gegenüber dem nicht haltenden Fahrzeugführer
Muster 4.64: Keine Zurechnung der Betriebsgefahr gegenüber dem nicht haltenden Fahrzeugführer
Vorliegend kann dem Fahrzeugführer eine möglicherweise zu berücksichtigende Betriebsgefahr des von ihm gelenkten Fahrzeugs im Rahmen der Haftungsabwägung nicht entgegengehalten werden. Er ist nicht der das Fahrzeug wirtschaftlich unterhaltende Halter, so dass eine Zurechnung der Betriebsgefahr nach § 17 StVG ausscheidet. Dies erst recht bei dem geltend gemachten Anspruch aus § 823 BGB. Als Abwägungsfaktor kann zu seinen Lasten allenfalls ein Verschulden berücksichtigt werden (BGH, Urt. v. 17.11.2009 – VI ZR 64/08 = VersR 2010, 268), welches vorliegend aber nicht ersichtlich ist.
Rz. 182
Genau wie bei der Abwägung nach § 17 StVG können aber auch bei der Bildung der Haftungsquote nach den § 9 StVG, § 254 BGB nur solche Umstände berücksichtigt werden, die sich unfallursächlich ausgewirkt haben. Hingegen sind solche Verursachungsbeiträge nicht zu berücksichtigen, die nicht feststehen.
Rz. 183
Muster 4.65: Kausalitätserfordernis bei der Mithaftung nach § 254 BGB
Muster 4.65: Kausalitätserfordernis bei der Mithaftung nach § 254 BGB
Bei der Bildung der Haftungsquote nach den § 9 StVG, § 254 BGB dürfen nur solche Umstände berücksichtigt werden, die sich unfallursächlich ausgewirkt haben und Umständen, bei denen dies nicht feststeht, sind außen vor zu lassen (BGH, Urt. v. 27.6.2000 – VI ZR 126/99 = DAR 2000, 524). Außerdem spielen – nachgewiesene – Umstände des Geschehens keine Rolle, wenn diese zwar abstrakt eine Gefahrerhöhung bewirkt haben, jedoch im konkreten Fall nicht nachgewiesen werden konnte, dass die Umstände sich auf den Schaden, bzw. auf die Höhe des Schadens, (mit) ausgewirkt ...