Rz. 78
Es ist umstritten, ob und wann eine Verfügung über einen Nachlassgegenstand abweichend von § 2040 BGB durch die Mehrheit der Miterben wirksam vorgenommen werden kann, wenn sie gleichzeitig eine Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung ist. Nach einer Entscheidung des III. Senats des BGH aus dem Jahr 1965 können unter Umständen zur Verwaltung auch Verfügungen erforderlich werden, d.h. solche Handlungen, die die Substanz des Nachlasses durch Veräußerung oder Belastung von Nachlassgegenständen dinglich verändern. In dem der Entscheidung zugrunde liegende Fall wäre ein zum Nachlass gehörendes Grundstück enteignet worden, wenn die Erben es nicht dem Land aufgelassen hätten. Ursprünglich ging der BGH mit der Mehrheit im Schrifttum davon aus, dass § 2040 BGB lex specialis zu § 2038 BGB ist.
Rz. 79
Im Jahr 2005 hat der IV. Senat des BGH dieses strikte Regel-Ausnahme-Verhältnis deutlich ausgeweitet. Der BGH formuliert im Leitsatz:
Zitat
"1. Zu den mitwirkungspflichtigen Verwaltungsmaßregeln gemäß § 2038 Abs. 1 S. 2 BGB zählen grundsätzlich auch Verfügungen über einzelne Nachlassgegenstände."
In den Entscheidungsgründen heißt es weiter, dass zur gemeinschaftlichen Verwaltung
Zitat
"grundsätzlich auch Verfügungen über Nachlassgegenstände (zählen), nur muss neben der Ordnungsmäßigkeit die Erforderlichkeit einer solchen Verwaltungsmaßnahme durch besondere Umstände belegt sein, um eine Mitwirkungspflicht zu begründen."
Der IV. Senat des BGH stellte hierdurch noch eine weitere Voraussetzung auf (neben den oben unter Ziff. 1–3 bereits genannten), bei deren Erfüllung dann auch (erst) eine Verfügung über einen Nachlassgegenstand eine "erforderliche Maßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung" sein könne: Die Erforderlichkeit müsse zusätzlich "durch besondere Umstände" belegt sein. Der BGH führte somit weitere Begriffe ein, die in der Praxis Fragen aufwarfen. Denn der BGH erklärte nicht einmal im Ansatz, was diese "besonderen Umstände" sein könnten. In den Entscheidungsgründen wird lediglich angemerkt, weshalb Verfügungen "auch" eine Maßregel der Verwaltung sein könnten. In der Folgezeit hat jedoch kein Senat des BGH und kein OLG dieses zusätzliche Erfordernis jemals erörtert und im Rahmen der einschlägigen Entscheidungen zu § 2038 BGB zugrunde gelegt: Es wurde schlichtweg ignoriert (vgl. hierzu sogleich Rdn 82 ff.).
Rz. 80
Kritik an der Auffassung des BGH
Einzig im Urteil des BGH vom 28.9.2005 setzt sich der BGH mit dem Widerspruch seiner Auffassung zu § 2040 Abs. 1 BGB auseinander, Verfügungen nach § 2038 mehrheitlich durch die Erben vornehmen zu lassen. Der IV. Senat begründete diese fundamentale Abweichung vom Gesetzeswortlaut mit vier Sätzen. Die Argumente sind dabei jedoch alles andere als überzeugend. Zunächst stellt der BGH auf den Verfügungsbegriff des § 1978 BGB ab und zitiert aus den Motiven zum BGB. Dabei wird vom BGH jedoch nicht problematisiert, dass es eine dem § 2040 BGB vergleichbare Vorschrift im Recht der Nachlassverwaltung gerade nicht gibt. Selbst wenn man aber der Auffassung sein sollte, dass diese Äußerungen des historischen Gesetzgebers ein Hinweis auf das Verständnis des Verwaltungsbegriffes in § 2038 BGB geben könnten, kann der Hinweis auf das Nachlassverwaltungsrecht nicht überzeugen. Denn der Gesetzgeber hat mit § 2040 Abs. 1 BGB eine Norm in das BGB aufgenommen, die den Verwaltungsbegriff – sofern er möglicherweise sonst "weiter" verstanden werden könnte – jedenfalls für das Recht der Erbengemeinschaft einschränkt. § 2040 BGB ist an Deutlichkeit kaum zu überbieten und lässt für Interpretationen keinen Raum.
Als zweites Argument führt der BGH dann § 180 ZVG an. Das Recht eines jeden Erben "zur Vorbereitung der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft selbstständig einen Antrag auf Teilungsversteigerung zu stellen, verdeutlicht, dass Verfügungen, die einer Nachlassauseinandersetzung vorangehen und sie evtl. vorbereiten sollen – einschließlich solcher über Nachlassgrundbesitz – Verwaltungsmaßnahmen sein können". Dabei wird jedoch nicht problematisiert, dass nach dem allgemeinen Verständnis- und insbesondere auch nach der vom BGH verwendeten Definition des Verwaltungsbegriffes –, die Vorbereitung der Auseinandersetzung keine Verwaltung mehr ist (vgl. hierzu auch oben Rdn 56 a.E.). Aus diesem Grund richten sich die Mitwirkungspflichten bei der Vorbereitung der Auseinandersetzung gem. § 2042 BGB auch nicht nach § 2038 BGB. Die Auseinandersetzung und deren Vorbereitung ist "etwas anderes", daher geht der Hinweis des BGH auf § 180 ZVG – allerdings nicht nur aus diesem Grund – fehl (zu den Mitwirkungspflichten im Rahmen der Auseinandersetzung § 8 Rdn 14).
Der BGH hat mit seiner Entscheidung aus dem Jahr 2005 – und ihm folgend die anderen Senate und Instanzgerichte – die Rolle des Gesetzgebers übernommen – ohne Notwendigkeit und überzeugende Gründe.
Rz. 81
Die grundsätzliche Entscheidung des BGH, dass Verwaltungsmaßnahmen auch Verfügungen sein können, widerspricht dem eindeut...