A. Einführung
I. Erbengemeinschaft als "Konfliktgemeinschaft"
Rz. 1
Gehört mehreren Personen eine Sache gemeinschaftlich und gibt es keine ausdrückliche Nutzungsregelung, führt dies zu Spannungen. Das war schon zu Kindertagen so, wenn Geschwister sich über gemeinsames Spielzeug gestritten haben. Ganz ähnliche Konflikte werden von Miterben untereinander ausgetragen – und es sind häufig wieder Geschwister, die untereinander streiten und alte Rivalitäten nun i.R.d. Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft wieder aufleben zu lassen. Dies lässt sich verkürzt als "Buddelkastensyndrom" bezeichnen und beschreibt eine der Ursachen, der teilweise ebenso heftigen wie unnötigen Auseinandersetzungen innerhalb einer Erbengemeinschaft: Die emotionale Seite der Angst vor Benachteiligung, zu verlieren, die Angst "wie früher wieder zu kurz zu kommen" und der Wunsch "es jetzt endlich allen zu zeigen".
Rz. 2
Letztlich entsteht die Erbengemeinschaft auch bei gewillkürter Erbfolge als Zufallsgemeinschaft, ohne dass ein Erbe die anderen Miterben auswählen könnte. Persönliche Differenzen zwischen den Erben, die den Ursprung vor dem Erbfall haben und Benachteiligungsängste bei der Auseinandersetzung führen hier häufig zu "Rachegefechten", die mit der eigentlichen Verwaltung und Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft nur noch indirekt etwas zu tun haben. Die Ursache kann dabei auch im Zusammenhang mit Ungleichbehandlungen durch die Eltern gesucht werden. Dabei ist nicht nur an einen unterschiedlichen Grad an persönlicher Zuwendung und Aufmerksamkeit zu denken, sondern auch an finanzielle Unterstützung: Ob gewollt oder ungewollt verschieben viele Eltern den Ausgleich unter ihren Kindern auf den Erbfall der Eltern (siehe hierzu auch § 7).
Rz. 3
Die zweite Ursache der Auseinandersetzungen ist das Streben nach Sicherung der eigenen wirtschaftlichen Position und häufig auch das Erzielen eines objektiv nicht gerechtfertigten wirtschaftlichen Vorteils. Dies betrifft insbesondere die Fälle, in denen der überlebende Ehe- oder Lebenspartner sich anderen Personen (meist Eltern oder Kindern) innerhalb der Erbengemeinschaft gegenüber sieht. Diese Eindringlinge in die Zweisamkeit wollen nun "etwas wegnehmen", was dem Überlebenden die künftige wirtschaftliche Lebensgrundlage entzieht. Ob dies objektiv zutreffend oder nur subjektiv so empfunden wird, ist dabei zunächst nebensächlich. So oder so ist es Antrieb für eigenmächtiges Handeln, den Wunsch "zu retten, was zu retten ist", wobei dann auch vor der objektiven Verwirklichung von Straftaten nicht zurückgeschreckt wird (siehe hierzu § 23 Rdn 5 ff.). Subjektiv fehlt den überlebenden Ehe- und Lebenspartnern hier häufig jegliches Unrechtsbewusstsein, was manchmal dann auch durch einzelne Kinder aus den oben genannten Gründen des "Buddelkastensyndroms" unterstützt wird.
Rz. 4
Die dritte Ursache sind die nicht nur für Erben regelmäßig schwer verständlichen Regelungen der Verwaltung der Erbengemeinschaft als Gesamthandsgemeinschaft. Der Gesetzgeber hat in den §§ 2032 ff. BGB insbesondere durch Verweise auf Vorschriften des Gemeinschaftsrechts die Rechte innerhalb der Erbengemeinschaft geregelt. Gleichwohl bereitet generell die Verwaltung der Gemeinschaft neben der Auseinandersetzung häufig die größten praktischen Schwierigkeiten im erbrechtlichen Mandat. Dies hat sicherlich auch seine Ursache darin, dass die Regelungen zur Verwaltung und Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft im Wesentlichen seit der Einführung des BGB nicht geändert worden sind. Zum damaligen Zeitpunkt herrschten andere soziale Strukturen (mehrere Generationen "unter einem Dach", die aufeinander angewiesen waren), die Mobilität war geringer (Miterben waren daher "dichter" am Nachlass und "dichter" beieinander) und die Erben waren jünger, da die Lebenserwartung noch nicht so hoch war wie heute. Eine weitere Ursache ist die leider häufig nicht zu übersehende Unkenntnis von den Regelungen, die der Verwaltung (und Auseinandersetzung) der Erbengemeinschaft zugrunde liegen – bei allen Personen, die mit einer Erbengemeinschaft zu tun haben, ob direkt oder indirekt. Verunsicherte Erben versuchen häufig in der Angst, andernfalls "zu kurz zu kommen", durch eigenmächtiges Handeln einen Vorteil zu erlangen, unwissende Berater kompensieren Unkenntnis durch unnötige Drohgebärden.
Rz. 5
Der Erblasser hat es in der Hand, mit durchdachten Verfügungen unter Lebenden und von Todes wegen die Nachlassgestaltung so vorzunehmen, dass Streit unter den Miterben weitgehend vermieden wird (siehe hierzu § 10). Ein "Königsweg" der Nachlassgestaltung ist hier, die Anordnung der Testamentsvollstreckung (siehe hierzu § 10 Rdn 102 ff.) und die Berechtigung des Testamentsvollstreckers nach billigem Ermessen zu teilen (§ 2048 S. 2 BGB oder auch durch ein Verteilungsvermächtnis nach § 2151 BGB, wobei das Bestimmungsrecht beim Testamentsvollstrecker liegt, nach Bedarf kombiniert mit einem Anteilsbestimmungsrecht nach § 2153 BGB) sowie – für den "Notfall" – die Anordnung eines Schiedsgerichtsverfahrens (siehe hierzu § 8 Rdn 97, § 10 ...