Rz. 150
Es gibt keine spezielle Anspruchsgrundlage, wonach Miterben untereinander verpflichtet wären, sich Auskunft über den Nachlassbestand zu erteilen. Umstritten ist die Frage, ob die Erben gleichwohl verpflichtet sind, sich wechselseitig über den Nachlassbestand zu informieren. Eine allgemeine Auskunftspflicht der Miterben allein aufgrund der Verbindung in der Erbengemeinschaft wird überwiegend abgelehnt.
Rz. 151
In einer vielfach in diesem Zusammenhang zitierten Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1988 heißt es im Leitsatz und wird ausgeführt, dass die Miterbenstellung allein nicht die notwendige Sonderbeziehung begründe, die zu einer Auskunftspflicht führt. Der Leitsatz wird jedoch dem besonderen Sachverhalt, zu dem die Entscheidung ergangen ist, nicht gerecht: Im entschiedenen Fall forderte der Bruder von seiner Schwester (beide Miterben zu je ½ nach ihrer Mutter), Zustimmung zur Auskunftserteilung der Krankenkasse der Erblasserin, welche Medikamente die Erblasserin erhalten habe, während sie im Haus der Beklagen gepflegt worden war. Während der Pflege durch die Beklagte errichtete sie ein notarielles Testament, wonach Kläger und Beklagte (Bruder und Schwester) je zu ½ als Erben eingesetzt werden. In einem älteren Testament aus dem Jahre 1959 war der Kläger Alleinerbe. Mit Hilfe der Informationen über die verabreichten Medikamente wollte der Kläger den Beweis führen, dass die Erblasserin bei Abfassung des letzten Testamentes testierunfähig gewesen ist und somit das vorangegangene Testament gültig ist, also der Kläger allein geerbt hat. Wenn in diesem Zusammenhang eine Pflicht der Beklagten abgelehnt wird, sich gewissermaßen selbst "den Ast abzusägen, auf dem sie sitzt", nämlich sie zu verpflichten, dem Kläger Informationen zu verschaffen, die ihre eigene Erbenstellung beeinflussen würden, dann hat das nichts mit der Frage zu tun, ob und inwieweit Erben verpflichtet sind, sich über den Nachlassbestand Auskunft zu erteilen.
Rz. 152
Auch einer älteren Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1973, die in diesem Zusammenhang häufig angeführt wird, lag eine besondere Konstellation zugrunde. Dort begehrte der pflichtteilsberechtigte Erbe vom beschenkten Miterben Auskunft über Schenkungen der letzten zehn Jahre vor dem Tod des Erblassers. Bei der Prüfung der möglichen Anspruchsgrundlagen des Klägers führt der BGH zu § 2038 aus, dass auch dies keinen Auskunftsanspruch bietet, "weil die gebotene Mitwirkung bei der Verwaltung des Nachlasses die Miterben nicht allgemein zur Auskunfterteilung über den Nachlassbestand verpflichtet." Für den konkreten Fall ist dies auch überzeugend, weil die Schenkungen des Erblassers gerade nicht mehr zum Nachlassbestand gehören, sondern lediglich zum fiktiven Nachlass zu zählen und i.R.d. §§ 2325, 2329 zu berücksichtigen sind. Darauf hat der BGH auch zuvor i.R.d. Prüfung zu § 2027 BGB mit Recht hingewiesen.
Rz. 153
Hinter der Ablehnung eines Auskunftsanspruches der Miterben untereinander über den Nachlassbestand mag häufig die Überlegung stehen, dass grundsätzlich jeder Erbe für sich allein in der Lage sei, die erforderlichen Informationen zu erlangen. In der Praxis sieht dies häufig anders aus: Die Erteilung eines Erbscheins kann sich nicht nur über Wochen, sondern Monate hinziehen und eine Legitimation gegenüber Banken etc. ist nicht möglich. Hat der Miterbe nun keinen unmittelbaren Zugang zu den Kontounterlagen des Erblassers, wird er sich in absehbarer Zeit keinen Überblick über das Konto- und Depotvermögen des Erblassers verschaffen können.
Rz. 154
Nach anderer Auffassung rührt die Auskunftspflicht – jedenfalls auch – aus § 242 BGB her. Dies wird wohl auch vom BGH nicht in Zweifel gezogen. Die Entscheidung aus dem Jahr 1988 wird oft fälschlich als Beleg dafür herangezogen, dass der BGH einen Auskunftsanspruch der Erben untereinander aus § 242 BGB ablehnt. Der BGH hat indes in seiner zitierten Entscheidung einen Auskunftsanspruch aus § 242 BGB lediglich deswegen abgelehnt, weil der "Rahmen eines Auskunftsrechts gem. § 242 BGB […] auch in gegenständlicher Hinsicht überschritten (wird)" – immerhin wollte der Kläger dort Auskunft über die Testierfähigkeit des Erblassers und nicht über den Nachlassbestand (siehe Rdn 151).
Zuvor führt der BGH aber aus:
Zitat
Wer Auskunft fordert, muss vielmehr durch das Verhalten desjenigen, von dem er Auskunft will, oder in sonstiger Weise bereits in seinem bestehenden Recht so betroffen sein, dass nachteilige Folgen für ihn ohne die Auskunftserteilung eintreten können […].
Auch im Erbrecht wird ein Auskunftsverlangen nur dem eingeräumt, dessen Position als Pflichtteilsberechtigter oder (Vertrags-)Erbe unzweifelhaft ist, und nur wenn und soweit vom Bestehen des Anspruches ausgegangen werden kann, zu dessen Durchsetzung die Auskunft dienen soll […].
Nach einem Urteil des BGH aus dem Jahr 1953 und mittlerweile gefestigter Rechtsprechung wird eine allgemeine Auskunftsverpflichtung aus § 242 BGB dort bejaht,