Julia Roglmeier, Dr. Christopher Riedel
Rz. 69
Mit der Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft kann der Erblasser den Vermögensfluss von Todes wegen über Generationen hinweg steuern. Man spricht mitunter auch von einer "Familienbindung des Vermögens". Die rechtliche Konstruktion bietet sich vor allem bei Patchwork-Testamenten oder bei der Gestaltung von behindertengerechten Testamenten an.
Rz. 70
Gleichwohl sollte die Anordnung einer solchen Konstruktion genauestens bedacht und im Zweifel restriktiv angewandt werden: Bei allem Interesse an einem Erhalt des Vermögens in der Familie sollten die doch erheblichen Beschwerungen für den belasteten Vorerben einkalkuliert und im Auge behalten werden. In der Beratung sollte stets hierauf hingewiesen werden.
Rz. 71
Die Vor- und Nacherbschaft ist geregelt in den §§ 2100 bis 2146 BGB. Sie bildet das Gegenstück zur Vollerbeneinsetzung. Ordnet der Erblasser eine Vor- und Nacherbschaft an, geht der Nachlass zunächst auf eine oder mehrere zu Erben bestimmte Personen über, die dann ihrerseits bei Eintritt der letztwillig festgelegten Bedingung das vom Vorerben umfasste Vermögen an dritte Personen, den oder die Nacherben, weitergeben müssen.
Wichtig
Bei der Vor- und Nacherbschaft kommt es nicht etwa zu einer Teilung der Erbenberechtigung zwischen Vor- und Nacherbe mit der Konsequenz einer Erbengemeinschaft. Geregelt wird vielmehr die lediglich zeitliche Aufeinanderfolge verschiedener Erben bezüglich derselben Erbschaft.
Rz. 72
Der Vorerbe ist "Erbe auf Zeit", der Nacherbe befindet sich bis zum Bedingungs- bzw. Befristungszeitpunkt in einer Warteposition. Vor- und Nacherbe sind jedoch wahre Erben desselben Erblassers und derselben Erbschaft.
Rz. 73
Im Rahmen der Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft besteht auch die Möglichkeit, die Nacherbfolge gestuft anzuordnen. Man spricht dann auch von einer sog. doppelten oder mehrstufigen Vor- und Nacherbschaft. Der erste Nacherbe ist dann gegenüber dem nachfolgenden Nacherben wiederum Vorerbe. Zu beachten ist die zeitliche Schranke des § 2109 Abs. 1 S. 1 BGB: Zwischen Vor- und Nacherbfall dürfen längstens 30 Jahre liegen, andernfalls erstarkt die Rechtsposition des Nacherben zu der eines Vollerben. Ausnahmen sieht das Gesetz in § 2109 Abs. 1 S. 1 BGB vor.
Rz. 74
Die Abgrenzung zwischen Vor- und Nacherbschaft und Vollerbeneinsetzung erfolgt bei auslegungsbedürftigen Verfügungen mittels der allgemeinen Auslegungsregeln, welche durch die besonderen Regelungen der §§ 2101 bis 2107 BGB ergänzt werden. Vielfach falsch eingeordnet wird der Begriff "Alleinerbeneinsetzung". Hat der Erblasser eine Person zum Alleinerben eingesetzt, kann damit sehr wohl auch eine Vorerbeneinsetzung gemeint sein. Begriffliches Gegenstück zum Alleinerben ist nämlich der Miterbe und nicht der Vorerbe. Demgegenüber bilden Vollerbe und Vorerbe die korrekten Gegenpaare.
Rz. 75
Die Vor- und Nacherbschaft ist weiter von der Ersatzerbeneinsetzung (§ 2096 BGB) abzugrenzen. Eine Ersatzerbschaft hat zur Bedingung, dass der primär Berufene aufgrund Wegfalls vor oder nach dem Erbfall nicht Erbe wird. Die Rechtsnachfolge tritt also nur einmal ein. Demgegenüber werden bei der Vor- und Nacherbschaft mehrere (mindestens zwei) Rechtsnachfolgen zeitlich hintereinandergeschaltet. Entscheidend für die Abgrenzung ist auch hier der Erblasserwille. Im Zweifel geht das Gesetz von einer Ersatzerbenbestimmung aus, § 2102 Abs. 2 BGB.
Rz. 76
Zu beachten sind Konstellationen, in denen der Nacherbe wegfällt. Dies kann vor Eintritt des Erbfalles, zwischen Erb- und Nacherbfall oder nach Eintritt des Nacherbfalls der Fall sein. Wegfalltatbestände sind vornehmlich:
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Ausschlagung, § 2142 BGB |
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Erbverzicht, § 2352 BGB |
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Erbunwürdigkeitserklärung, § 2344 BGB oder |
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vorzeitiger Erbausgleich, Art. 227 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB, § 1934e BGB a.F. |
Rz. 77
Vorbehaltlich einer anderen Erblasseranordnung (z.B. der Benennung von Ersatzerben), wird die Nacherbfolge gegenstandslos, wenn der Wegfall vor Eintritt des primären Erbfalles erfolgt. Das Vorerbenrecht erstarkt dann zum Vollrecht. Ereignet sich der Wegfall während der Dauer der Vorerbschaft, erstarkt das Vorerbenrecht nur dann zum Vollrecht, wenn der Bedingungseintritt objektiv nicht mehr eintreten kann oder wenn der Erblasser die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts ausgeschlossen (§ 2108 Abs. 2 BGB) und keine Ersatznacherbfolge (§§ 2069, 2096 BGB) angeordnet hat. Fällt der Nacherbe nach Eintritt des Nacherbfalles weg, hängen die Rechtsfolgen vom vorrangig und gegebenenfalls durch Auslegung zu ermittelnden Erblasserwillen ab. Schlägt der Nacherbe beispielsweise aus, entfällt die angeordnete Nacherbschaft und die Erbschaft fällt grundsätzlich an den Vorerben oder an dessen Erben zurück. Hat der Erblasser allerdings Ersatznacherben benannt oder stillschweigend die Abkömmlinge eines weggefallenen Abkömmlings berufen, so fällt diesen die Nacherbschaft an.
Rz. 78
Die Rechtsstellung des Vorerben kann befreit oder nicht befreit ausgestaltet sein. Der Erblasser kann den Vorerben dabei im Rahme...