Kerstin Hartwig, Dr. Hubert W. van Bühren
Rz. 43
Wünscht ein Versicherungsnehmer schon bei Auswahl bzw. Abschluss einer Versicherung oder bei der Frage, ob er ausreichend versichert ist, anwaltliche Beratung, ist Vorsicht geboten. Zwar kann der Rechtsanwalt den Inhalt des angebotenen oder bestehenden Versicherungsvertrages aus juristischer Sicht erläutern. Sicher ist er auch in der Lage, anhand der Tatsachenangaben Empfehlungen zu geben, ob bei Vertragsabschluss die Einbeziehung bestimmter weiterer angebotener Bausteine sinnvoll ist (etwa, wenn Elementargefahren nicht gedeckt wären). Allerdings hat der Anwalt naturgemäß kaum einen so umfassenden Überblick über die am Markt erhältlichen Produkte, um den Versicherungsnehmer anhand seines konkreten Versicherungsbedarfes angemessen beraten zu können. Hier sind Fachleute aus der Versicherungswirtschaft, ob nun Agenten eines Versicherers oder Makler, die besseren Ansprechpartner. Schon aus Haftungsgesichtspunkten sollte der Rechtsanwalt auf diese verweisen oder aber sein Beratungsfeld durch entsprechende Vereinbarungen (z.B. einen Haftungsausschluss) exakt eingrenzen.
Rz. 44
Weil Beratungen zum Vertragsbestand oder -abschluss eher die Ausnahme sind, beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen auf Fälle über Fragen der Leistungspflicht des Versicherers bei bestehendem Vertrag.
1. Checklisten
a) Sachverhaltsermittlung
Rz. 45
Checkliste Sachverhaltsermittlung
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Was genau ist wann geschehen? |
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Wer hat wann, wie, was entdeckt? |
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Gibt es Hinweise auf mögliche Schadensursachen? |
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Was ist beschädigt oder zerstört? |
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Ist die Schadenshöhe schon bezifferbar? |
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Ist das Schadensbild schon verändert? Seit wann und durch wen? |
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Liegen Dokumentationen (z.B. durch Lichtbilder) zum Schadensverlauf, der Schadensursache oder den Schäden vor? |
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Gibt es ggf. Zeugen (Name, Anschrift, Telefonnummer)? |
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Ist der Schaden bereits beim Versicherer gemeldet? Wann und wie? Unter welcher Schadensnummer? |
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Hat der Versicherer schon eigene Ermittlungen angestellt? |
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Gibt es (etwa bei Brand) polizeiliche Ermittlungen? Bei welcher Dienststelle, zu welchem Aktenzeichen? |
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Wie stellt sich der Versicherungsnehmer die Schadensbeseitigung vor? Beabsichtigt der Versicherungsnehmer die Wiederherstellung im bisherigen Zustand oder in davon abweichender Weise? Oder will er ggf. fiktiv abrechnen? |
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Sind Vorschusszahlungen des Versicherers geflossen oder nötig? |
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Hat der Versicherer zu Obliegenheitspflichten belehrt? Wann und wie? |
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Könnten Verjährungsprobleme bestehen? Welche Fristen laufen? |
b) Vertragsunterlagen
Rz. 46
Checkliste Vertragsunterlagen
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Welchen Versicherungsschutz dokumentiert der Versicherungsschein für den Tag des Versicherungsfalles? Hier sind insbesondere mögliche Nachträge zu berücksichtigen. |
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Welche Versicherungsbedingungen und ggf. welche Klauseln sind für diesen Zeitpunkt maßgebend? |
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Stehen Obliegenheiten des Versicherungsnehmers im Raum? |
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Ist/war der Versicherer bei Obliegenheitspflichtverletzungen zur Belehrung verpflichtet? |
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Welche Gefahren sind gedeckt? |
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Gibt es Ausschlüsse? |
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In welchem Umfang besteht Versicherungsschutz (Versicherungssumme)? |
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Welche Kosten sind versichert? |
c) Hilfsweise und für Regresse: Erstattungspflicht Dritter?
Rz. 47
Checkliste Erstattungspflicht Dritter
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Gibt es einen Schadensverursacher, gegen den Haftpflichtansprüche bestehen könnten? |
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Kommt bei nicht bestehendem Versicherungsschutz die Haftung des Vermittlers infolge von Verletzung der Beratungs- und Informationspflichten aus §§ 6, 7 VVG in Betracht? |
2. Praxistipps für den Rechtsanwalt
Rz. 48
Zwar sind die Versicherer außergerichtlich selbst tätig und bedienen sich nur in Ausnahmefällen schon vorprozessual anwaltlicher Hilfe. Gleichwohl können nachfolgende Hinweise für Rechtsanwälte beider Parteien gleichermaßen hilfreich sein – entweder, weil der Anwalt des Versicherungsnehmers ihnen folgen könnte oder aber weil der Anwalt des Versicherers hieraus Einwendungen für den späteren Prozess herleiten kann.
Rz. 49
Lässt sich der Versicherungsnehmer anlässlich des Versicherungsfalles von vornherein anwaltlich beraten, hat er die dafür anfallenden Gebühren meist selbst zu tragen. Der Gebäudeversicherer ist nicht erstattungspflichtig, solange er sich noch nicht in Verzug befindet. Dies gilt auch bei einer anwaltlichen Zahlungsaufforderung oder -erinnerung, wenn noch keine verzugsbegründenden Umstände i.S.d. § 286 BGB eingetreten sind.
Rz. 50
Versicherer bestehen regelmäßig auf Übersendung einer Vollmacht (hierzu das Muster vgl. § 3 Rdn 4), die man zur Vermeidung von Verzögerungen bereits im ersten Anschreiben mitsenden sollte.
Rz. 51
Der Anwalt muss seinen Mandanten darauf hinweisen, wenn noch zu erfüllende Obliegenheiten im Raum stehen oder bereits begangene Pflichtverletzungen zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen können. Er muss das Belehrungserfordernis des § 28 Abs. 4 VVG prüfen.
Rz. 52
Der Versicherungsnehmer muss seinem Versicherer gegenüber insbesondere gem. B 3.3.2.2 a) VGB 2022 (1914) eine unverzügliche Schadensmeldung abgeben, um diesem die Gelegenheit zu geben, die nötigen Ermittlungen einzuleiten. Dies kann telefonisch und auch so knapp wie möglich geschehen. Konkrete Angaben zum Schade...